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#224 Die Mitbewohnerin

Shownotes

Die vierfache Mutter Sylvie wagt einen mutigen Neuanfang: Gemeinsam mit ihrer neuen Liebe Eckhard zieht sie in ein Haus in Nürnberg. Ein Schritt voller Vertrauen, Zuversicht und der Hoffnung auf ein schöneres Leben. Doch als sie einer Freundin in einer akuten Notsituation hilft und sie als Mitbewohnerin aufnimmt, beginnt sich der zunächst harmonische Alltag zu verdunkeln. Aus einer Geste der Solidarität entsteht schleichend ein Klima aus Misstrauen, unterschwelliger Anspannung und wachsender Bedrohung, das schließlich in einer Tragödie endet.

In dieser Folge von „Mordlust – Verbrechen und ihre Hintergründe“ geht es um eine Geschichte, die eindringlich daran erinnert, wie wichtig es ist, der eigenen Intuition zu vertrauen und wie psychische Erkrankungen sowohl die Betroffenen selbst als auch ihr unmittelbares Umfeld aus dem Gleichgewicht bringen können.

Expertin dieser Folge ist Dr. Nahlah Saimeh, forensische Psychiaterin, Gutachterin und Professorin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Credit

Produzentinnen/ Hosts: Paulina Krasa, Laura Wohlers Redaktion: Paulina Krasa, Laura Wohlers, Simon Garschhammer Schnitt: Pauline Korb Rechtliche Abnahme: Abel und Kollegen

Quellen (Auswahl)

Landgericht Nürnberg-Fürth: Urteil vom 07. Oktober 2022, 5 Ks 104 Js 2462-21

SWR: “Mord im Wahn

Hinweise für Betroffene und Angehörige von Betroffenen Sozialpsychiatrische Dienste (bundesweit, gibt es in jeder größeren Stadt beim Gesundheitsamt): https://www.bapk.de/sozialpsychiatrischer-dienst.html Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V. (BApK) mit "SeeleFon"-Beratung für Angehörige: https://www.bapk.de Caritas Beratungsstellen für psychische Gesundheit und Krisenintervention: https://www.caritas.de/hilfeundberatung Selbsthilfegruppen Schizophrenie: https://www.gesundheitsinformation.de/selbsthilfe-bei-schizophrenie.html

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Transkript anzeigen

00:00:11: Herzlich willkommen bei Mott Lust, einem Podcast der Partner in Crime.

00:00:14: Wir reden hier über Wareverbrechen und ihre Hintergründe.

00:00:16: Mein Name ist Paulina Kraser

00:00:18: und ich bin Laura Wohlers.

00:00:20: In jeder Folge erzählen wir einen bedeutsamen Warenkriminalfall nach, ordnen ihn für euch ein, erörtern und diskutieren die juristischen, psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekte und sprechen mit Menschen mit Expertise.

00:00:32: Hier geht es um

00:00:32: True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.

00:00:35: Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.

00:00:36: Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas abschweifen.

00:00:40: Das ist für uns so eine Art Comic-Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.

00:00:45: Bevor wir mit dem heutigen Fall starten, in der es um eine Geschichte geht, in der ein Akt der Nächstenliebe in einer Tragödie mündet und eine Frau für ihre Hilfsbereitschaft auf grausame Weise bezahlen muss, müssen wir einmal über den Freispruch im Eiskaderprozess sprechen, Paulina.

00:00:59: Ja, unbedingt.

00:01:00: Letzte Woche Montag hat das Landgericht Traunenstein in Bayern Sebastian T. nämlich freigesprochen, weil es keine Beweise für seine Schuld gefunden hat.

00:01:09: Den Fall haben wir euch ja schon mal in Folge zweihundert erklärt, aber noch mal für alle.

00:01:12: Das war die Geschichte von Hannah, die nach einer Party Nacht nicht mehr nach Hause kam und deren Leiche einen Tag später in der Prin entdeckt wurde.

00:01:20: Sebastian T. wurde im März zwei tausendzwanzig wegen Mordes verurteilt.

00:01:23: Das Gericht war auf ihm vor, Hannah auf dem Nachhauseweg von hinten angegriffen.

00:01:28: auf den Kopf geschlagen, sie stranguliert und dann ins Wasser geworfen zu haben, wo sie dann ertrank.

00:01:33: Allerdings hatte der BGH das Urteil wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben, und zwar weil die Vorsitzende Richterin sich im Laufe des Prozesses in E-Mails mit dem Staatsanwalt über die rechtliche Würdigung des Fals ausgetauscht hatte.

00:01:46: Und das geht natürlich gar nicht.

00:01:48: So war es quasi unter... Ausschluss der Verteidigung zu machen.

00:01:52: Also ein laufendes Verfahren mit allen Beteiligten zu besprechen ist natürlich voll okay, aber halt eben auch mit allen Beteiligten.

00:02:00: Ja, aber jetzt im zweiten Prozess ist die Kammer auch zu einem ganz anderen Schluss gekommen als die erste und in der Urteilsbegründung hat die jetzt vorlesende auch so ungefähr alles auseinandergenommen, was die Polizei und im Endeffekt ja auch die erste Kammer falsch gemacht haben.

00:02:15: Größtes Problem.

00:02:17: Das Gericht sagt jetzt, dass eigentlich alle belastenden Aussagen von Zeugnen unglaubhaft waren.

00:02:23: Ich weiß nicht, ob ihr euch noch daran erinnert, aber eine Freundin von Sebastian hatte der Polizei zum Beispiel erzählt, dass er ihr von dem Mord berichtet hätte an dem Tag, an dem er noch gar nicht davon hätte wissen können.

00:02:34: Auch die Schwester von dieser Freundin hatte sowas in der Art erzählt.

00:02:37: Und die Mutter der beiden hatte bei der Polizei angegeben, dass Sebastian am Tag vor seiner Festnahme auch ihr gegenüber und ihrer Familie ein Geständnis abgelegt hätte.

00:02:48: Wozu die Vorsitzende jetzt ganz klar gesagt hat, dass die Mutter definitiv gelogen habe und es mit der Wahrheit nicht so genau nehme.

00:02:57: Das ist schon eine Aussage.

00:02:59: Ja, und auch was den Mitinsassen von Sebastian angeht.

00:03:02: Da hat man jetzt nochmal genauer hingesehen, der meinte, Sebastian habe ihn die Tat in Haft gestanden und der ist jetzt laut einem Gutachten unglaubwürdig.

00:03:09: Die Vorsitzende hat sich am Ende des Prozesses jetzt an Sebastian gewandt und mit Tränen in den Augen gesagt, Zitat, dieses Rechtssystem hat ihnen großes Unrecht zugefügt.

00:03:20: Als Teil dieses Rechtssystems möchten wir uns bei ihnen entschuldigen.

00:03:24: Ja.

00:03:25: Also das muss ganz krass gewesen sein da, also wie emotional die Vorsitzende da geworden ist, also mit Tränen in den Augen und so einer stockenden Vortragsweise.

00:03:38: Also, die hat das offenbar richtig doll mitgenommen.

00:03:41: Ja, also ich glaube, dieser ganze Prozess ist relativ emotionsgeladen.

00:03:44: Wir erinnern uns ja auch noch daran, dass die Eltern relativ zu Beginn des zweiten Prozesses auch angemerkt haben, dass es hier jetzt nicht mehr um Hannah geht.

00:03:51: Und das ist natürlich auch eine unfassbare Tragik, ja.

00:03:54: Weil der erste Prozess hat zumindest den Anschein gemacht, dass er den Eltern und den Freundinnen... Antworten geben kann und das fällt jetzt natürlich alles weg.

00:04:03: Genau, im zweiten Verfahren wurde jetzt auch gar nicht erst versucht zu klären, wie Hannah gestorben ist und ich will mir gar nicht auswahlen, wie das jetzt für die Familie ist, die jetzt mit noch mehr Fragezeichen wahrscheinlich zu Hause sitzt.

00:04:16: Genau, die Theorie der Verteidigung war ja schon die ganze Zeit, wahrscheinlich war es ein Unfall gewesen, aber ob das nun so war, das weiß man jetzt am Ende des zweiten Prozesses immer noch nicht.

00:04:27: Ja, wir hatten uns ja am Ende der Folge zweihundert gewünscht, dass es eben für alle Antworten gibt.

00:04:35: Das ist jetzt leider nicht der Fall.

00:04:36: Es ist aber natürlich so wichtig, dass es diesen zweiten Prozess gegeben hat für Sebastian, der jetzt wirklich eine so lange Zeit offenbar unschuldig in Haft saß.

00:04:48: Und es ist auch super wichtig, aufzuzeigen, welche Fehler

00:04:51: gemacht

00:04:52: wurden.

00:04:53: Und ob und inwieweit ist tatsächlich dann auch vielleicht zu Konsequenzen.

00:04:58: für die Ermittlerinnen und die Vorsitzende aus dem ersten Verfahren geben wird.

00:05:03: Das werden wir wahrscheinlich in den nächsten Wochen und Monaten sehen.

00:05:06: Jetzt kommen wir aber erst mal zu unserem heutigen Fall, in dem das Urteil zwar viel schneller gefällt wird, für die Hinterbliebenen mir doch genauso viele Fragen offen bleiben.

00:05:18: Einige Namen haben wir geändert.

00:05:21: Es ist noch vor sechs Uhr früh, an diesem verregneten Morgen, des fünften Oktober, Die Autobahn Asex bei Nürnberg ist bis auf wenige Lastwagen, die gemächlich auf der rechten Spur tuckern, noch fast leer.

00:05:36: Der Asphalt glänzt, das Wasser spiegelt sich im grellen Licht, der Scheinwerfer und erschwert die Sicht.

00:05:41: Die Scheibenwischer quetschen monoton im Takt, links rechts, links rechts.

00:05:46: Ein Geräusch, das die Anspannung im Inneren des Autos abbildet, hinter dessen Lenkrad Silvi sitzt.

00:05:53: Die fünfundfünfzigjährige mit den braunen schulterlangen Haaren und den graublauen Augen hält es fest umschlossen.

00:05:59: So fest, dass ihre Knöchelweiß hervortreten.

00:06:03: Ihr Puls rast, sie versucht ihre Atmung zu kontrollieren.

00:06:07: Jeder Muskel in ihrem Körper ist verkrampft.

00:06:09: Sie fühlt sich hilflos und hat Angst.

00:06:12: Angst vor dem, was sie nicht verhindern konnte und vor dem, was noch vor ihr liegt.

00:06:17: Jetzt bloß nicht von der Fahrbahn abkommen, nur kein Fehler machen.

00:06:22: Ihre Augen bleiben starr auf die weiße Mittellinie gerichtet, doch Sylvie spürt die Gefahr, die direkt neben ihr sitzt.

00:06:30: Die Person auf dem Beifahrerplatz hat ein Messer auf dem Schoß und wiederholt immer und immer wieder das Ziel, das sie hat und zu dem Sylvie sie fahren soll.

00:06:39: Noch forty-fünf Kilometer sind es bis dorthin.

00:06:42: und während die Dunkelheit der Nacht langsam der Morgendämmerung weicht, wächst mit jedem weiteren Kilometer in See wie die Befürchtung, dass viele Menschen den heranbrechenden Tag heute nicht überleben werden.

00:06:56: Heute ist ein Tag wie jeder andere im Leben von Sylvie und ihrem Mann Peter, doch er wird ihre Zukunft maßgeblich beeinflussen.

00:07:04: Während die beiden an diesem Abend, im Frühjahr, im Frühjahr, wie so oft schweigend in der Küche sitzen, ist das einzige Geräusch, dass ihre Stille durchbricht, die Stimme eines Radiomoderators.

00:07:15: Ein Feature über Homosexualität bei jungen Menschen läuft gerade im Radio.

00:07:19: Da sagt Peter plötzlich, das ist doch nur eine Mode, da probiert man das halt aus.

00:07:25: Sylvie erstarrt.

00:07:27: Was hat er da gerade gesagt?

00:07:28: Der Kommentar kam ihm ganz beiläufig über die Lippen, wie eine Bemerkung von vielen.

00:07:33: Aber die nonnenvierzigjährige spürt die Abschätzigkeit dahinter.

00:07:37: Sie entgegnet irritiert, als ob man sich das aussuchen könnte.

00:07:41: Peter zuckt nur müde mit den Schultern.

00:07:44: Für ihn ist das Thema damit erledigt.

00:07:46: Doch in Sylvie heilen die Worte nach.

00:07:49: Sie sieht ihn an, den Mann, mit dem sie seit mehr als zwanzig Jahren verheiratet ist und vier Kinder hat.

00:07:54: Den fünfundfünfzigjährigen Ingenieur mit dem gräulich lichten Haar und dem kleinen Bauchansatz, der pragmatisch und still ist, wie immer.

00:08:02: Auf Sylvie wirkt Peter schon seit längerem irgendwie festgefahren, unbeweglich und unwillig überhaupt noch etwas Neues in sein Leben zu lassen, sei es ein Hobby oder auch nur ein neuer Gedanke.

00:08:13: Unter dem Moment in der Küche wird Sylvie etwas bewusst, dass schon lange unter der Oberfläche gärt.

00:08:18: Sie und ihr Mann sprechen nicht mehr dieselbe Sprache.

00:08:23: In den nächsten Tagen und Wochen wächst die Erkenntnis in Sylvie, dass sie so nicht mehr leben will.

00:08:28: Der eine unbedachte Kommentar von Peter hat sich als Anstoß herausgestellt, für ein Umdenken, das Sylvie nicht hat kommen sehen.

00:08:35: Aber ihr wird klar, dass die Routine und die Sicherheit, die sie jahrelang getragen haben, nicht mehr reichen.

00:08:41: Die Kinder werden immer selbstständiger, die tägliche Verantwortung kleiner und plötzlich ist da diese Kluft zwischen dem, was sie lebt und dem, was sie noch fühlen möchte.

00:08:50: Jetzt, mit Ende vierzig, spürt sie eine Sehnsucht nach Aufbruch, nach einem neuen Sinn im Leben.

00:08:56: Sie stellt sich Fragen, die sie lange verdrängt hat.

00:08:59: Was will ich eigentlich?

00:09:01: Nicht als Mutter, nicht als Ehefrau, sondern als Mensch, als Sylvie.

00:09:05: Sie fängt an zu grübeln, richtig zu grübeln.

00:09:08: Vielleicht könnte sie etwas anderes machen, als in Teilzeit als pharmazeutisch technische Assistentin in einer Apotheke zu arbeiten.

00:09:15: Etwas anderes werden.

00:09:16: Etwas, das mehr sie ist.

00:09:19: Schon bald spielt Sylvie mit dem Gedanken, eine Ausbildung zur Heilpraktikerin zu machen.

00:09:24: Etwas, das gar nicht so weit von dem entfernt ist, was sie gelernt hat.

00:09:28: Sylvie möchte anderen Menschen helfen und ihr Interesse für Pharmazie und Heilkunde bestärkt sie darin, der Idee nachzugehen.

00:09:36: Aber auch die Vorstellung davon selbstständig und somit unabhängiger zu werden, sollte sie ihre eigene Praxis aufmachen.

00:09:43: Und je mehr sie sich damit beschäftigt, desto deutlicher wird ihr, das will sie wirklich.

00:09:48: Das ist keine Flucht aus der Ehe, es ist der Weg zu sich selbst.

00:09:53: Und es dauert nicht lange, da sitzt Sylvie auch schon in ihrer ersten Ausbildungsstunde zur Heilpraktikerin, ohne zu ahnen, wohin sie diese Reise führen wird.

00:10:02: Dort lernt sie eine Frau kennen, mit der sie sich auf Anhiebgut versteht und die ihr von einer spirituellen Gemeinschaft erzählt, die Sylvie hellhörig macht.

00:10:11: Eine Gruppe von Gleichgesinnten, die sich in der Natur treffen, zusammen meditieren, austauschen und sich gegenseitig stärken.

00:10:18: Keine Sekte, keine Esoterikblase, sondern eine Gemeinschaft, die die Einfachheit, Authentizität und das Erleben der Natur ins Zentrum stellt, erklärt die Frau.

00:10:27: Sylvie findet das alles äußerst interessant.

00:10:30: Nach Jahren des Funktionierens und Organisierens klingt das für sie einfach aufregend und so ganz anders als ihr monotoner Alltag, aus dem sie ohnehin ausbrechen will.

00:10:40: Als sie erfährt, dass bald das Sommerfest der Gruppe stattfindet, packt sie die Gelegenheit beim Shop.

00:10:45: Die Kinder kann Sylvie beruhigt mal eine Nacht alleine lassen, ohne dass ihr Mama Herz schwer wird.

00:10:50: Die Jungs, Paul und Lukas, sind schon älter und ohnehin meist mit eigenen Interessen beschäftigt, genauso wie ihre älteste Tochter Leonie.

00:10:57: Das Nährstädtchen Lucy ist mittlerweile auch schon elf und obwohl sie immer ihre Kleine bleiben wird, verbringt sie inzwischen auch mehr Zeit in ihrem Zimmer als mit Mama.

00:11:06: Sylvie ist also bereit für ein Abenteuer, schnappt sich Isomatte und Schlafsack und macht sich im Augusten auf den Weg in einen nahgelegenden Wald.

00:11:14: Als Sylvie ankommt, hat bereits die Abenddimmerung eingesetzt.

00:11:18: Schon von weitem hört sie geselliges Treiben.

00:11:21: Sie ist aufgeregt, eine Mischung aus Vorfreude, aber auch Nervosität macht sich breit.

00:11:26: Wird man sie mit offenen Armen empfangen oder doch komisch anschauen?

00:11:29: Passt sie überhaupt dazu?

00:11:31: Doch die Zweifel weichen schnell der Faszination.

00:11:34: Im Wald fallen ihr bunte Laternen auf, die an den Ästen hängen, die weißen Kieselsteine auf dem Pfad vor ihr leuchten und für Sylvie füllt es sich an, wie in einem Märchenwald zu sein.

00:11:44: Der Weg führt sie schließlich auf eine Lichtung, auf der ein Blockhaus steht, daneben Tippizelte.

00:11:50: Um die dreißig Leute sind dort versammelt.

00:11:52: Einige sitzen vor dem Lagerfeuer, andere bereiten Essen vor oder militieren im Kreis.

00:11:57: Hallo, schön, dass du da bist.

00:11:59: Wird Sylvie direkt herzlich empfangen und kurze Zeit später sitzt sie mit einem veganen Reißgericht vor dem prasselnden Feuer.

00:12:06: Neugierig lauscht sie wie den Gesprächen und merkt schnell, dass hier nicht die typischen Unterhaltungen geschürt werden, die man sonst unter Erwachsenen kennt.

00:12:14: Kein nerviger Smalltalk, niemand interessiert sich als erstes dafür, wo sie arbeitet, wie viele Kinder sie hat oder woher sie kommt.

00:12:21: Stattdessen spürt sie echtes Interesse an der Person hinter der Fassade.

00:12:26: Wo steht Sylvie im Leben?

00:12:27: Was erfüllt sie?

00:12:28: Was sind ihre Träume?

00:12:30: Diese Tiefe, diese ungewöhnliche Ehrlichkeit kennt sie aus ihrem Alltag nicht und genau das imponiert ihr.

00:12:36: Als die Dunkelheit über die Weitlichtung herein bricht, sieht Sylvie die leuchtenden Sterne am Himmel.

00:12:41: Ein Anblick, den sie im Vorort von Nürnberg schon lange nicht mehr gesehen hat und ihr klar macht, wie sehr sie es vermisst, draußen in der Natur zu sein.

00:12:49: Passend dazu tönten unsphärische Musik aus der aufgebauten Musikanlage und die Menschen um sie herum beginnen zu tanzen.

00:12:56: Nach anfänglichem Zögern lässt sich auch Sylvie treiben und bewegt sich zu den Klängen.

00:13:01: Nach einer gewissen Zeit fällt Sylvie dann dieser Mann auf.

00:13:04: Er sitzt barfuß vor dem Block aus auf dem Boden und wirkt, als würde er in sich ruhen.

00:13:09: Für Sylvie sieht er aus wie ein Mensch, der viel Zeit in der Natur verbringt und sich körperlich betätigt.

00:13:15: Seine Hände sind grob, markant, wie von jemandem, der erschafft, der anpackt.

00:13:20: Seine Haut ist sonnengebräunt, sein Körper dratig und muskulös.

00:13:25: Als sie näher kommt, verliert sich Sylvie für einen Moment in seinen stechen, tellblauen Augen.

00:13:29: Sie gesellt sich zu ihm und erstellt sich ihr als Eckart vor.

00:13:33: Dabei schenkt er ihr ein warmes Lächeln, nicht aufgesetzt, vielmehr einladend und liebevoll.

00:13:39: Eckhardt ist genauso alt wie sie.

00:13:41: Auf dem Kopf trägt er eine Halbplätze, am Hinterkopf entdeckt Sylvie einen einzelnen Dreadlock.

00:13:46: Normalerweise arbeite er als Erzieher in einer Kita, erzählt er Sylvie.

00:13:50: Aktuell sei er aber krankgeschrieben und wegen psychischer Probleme in Therapie.

00:13:55: Sylvie ist erstaunt, dass er so offen damit umgeht und einer völlig fremden gegenüber solch private Dingepreis gibt.

00:14:01: Ein Mann, der sich für seine Schwächen nicht schämt und seine Gesundheit vor die Arbeit stellt, etwas das Sylvie selten im Leben begegnet ist.

00:14:09: Was ihm helfe und viel Spaß bereite, sei seine große Leidenschaft, die Landart.

00:14:15: Er schiebt gleich hinterher, was das bedeutet.

00:14:18: Steine stapeln und sozeug, sagt er mit einem Grinsen.

00:14:22: Jetzt ist Sylvie dran und sie hat von Anfang an das Gefühl, dass sie Eckhard alles erzählen kann.

00:14:27: Obwohl sie ihn erst vor wenigen Minuten kennengelernt hat, entsteht sofort ein Vertrauen.

00:14:31: Fast so, als hätte sie endlich jemanden gefunden, der sie wirklich sieht.

00:14:35: Sie erzählt ihm von ihrem Leben mit Peter, von dem Gefühl, seit Jahren nur zu funktionieren und von ihrer Sehnsucht nach Veränderung.

00:14:43: Eckhardt hört ihr aufmerksam zu, erzählt aber auch immer mal wieder aus seinem eigenen Leben.

00:14:48: Und so merkt sie wie schnell, dass er versteht, wovon sie spricht.

00:14:51: Denn Eckhardt steckt gerade selbst in einem Umbruch.

00:14:54: Auch er hatte eine lange Beziehung und lebt inzwischen getrennt von seiner Frau und seinem Kind.

00:14:59: Er berichtet mit einem Funkel in seinen Augen von seinem neuen Bauwagen, den er sich gekauft hat, um sich zurückzuziehen, allein in der Natur zu sein und dort an kreativen Projekten zu arbeiten.

00:15:10: Während Eckhardt von seinem neuen Leben spricht, sieht sie wie zum ersten Mal, wie es aussehen kann, sich selbst an erste Stelle zu setzen.

00:15:18: Nicht nur zu träumen, sondern tatsächlich zu handeln.

00:15:21: Sie betrachtet ihn und spürt, er hat den Mut, den sie sich selbst immer gewünscht hat.

00:15:26: Als Eckhardt kurz darauf aufsteht, um jemandem im Blockhaus zu helfen, bleibt für Sylvie ein Gefühl zurück, das Tief in ihr Nachhalt.

00:15:33: So, als seien ihr etwas ins Schwingen geraten.

00:15:37: Beseelt von den Eindrücken des Abends, schlägt Sylvie ihre Isomatte auf und legt sich unter dem Sternenhimmel schlafen.

00:15:44: Am nächsten Morgen wacht sie auf, Energie geladen und voller Leben, trotz der wenigen Stunden Schlaf und dem harten Untergrund.

00:15:50: Ein Gefühl, das sie lange nicht mehr hatte.

00:15:53: Nachdem sie sich von allen verabschiedet hat, setzt sie sich in ihr Auto und fährt los, zurück in ihr altes Leben, zu Peter und den Kindern.

00:16:01: Auf dem Rückweg wird ihr klar, sie würde eigentlich lieber sofort wieder umdrehen.

00:16:05: Sie will Teil dieser Gruppe werden, noch mehr Nächte unter freiem Himmel erleben und noch mehr Zeit mit den Menschen dort verbringen.

00:16:11: Doch zu Hause schleicht sich der Trott schneller wieder ein, als Sylvie lieb ist.

00:16:17: Sylvie hält zwar mit einigen aus der Gruppe Kontakt, aber zu den Treffen schafft sie es dann doch nie.

00:16:22: Die Nacht unter dem Sternenhimmel rückt in weite Ferne, bald nicht mehr nur gefühlt, sondern auch tatsächlich.

00:16:28: Denn ein ganzes Jahr vergeht, bis sie sich im Sommer, zwei Tausendsechzehn wieder in den Wald begibt.

00:16:33: Das Sommerfest steht erneut an und als sie auf der Lichtung Eckart wieder sieht, ist sie sofort wieder da.

00:16:38: Diese Anziehung, diese Resonanz, als hätte es das Jahr, in dem sie keinen Kontakt hatten, nicht gegeben.

00:16:45: Diesmal tauschen sie Nummern aus und fangen an, sich zu schreiben.

00:16:48: Anfangs zaghaft, dann immer häufiger.

00:16:51: Es dauert nicht lange, da merkt Sylvie, wie ihre Gefühle für Eckert intensiver werden.

00:16:56: Erst ist es nur eine Spannung, ein Kribbeln im Bauch, doch dann merkt sie, dass sie ihn wiedersehen will.

00:17:01: Nach ein paar Wochen weiß sie, sie ist verliebt.

00:17:04: Zum ersten Mal, seit Jahren, hat sie das Gefühl wirklich gesehen zu werden, als Frau, als Mensch, nicht nur als Mutter, nicht nur als jemand, der hier zu Hause den Laden schmeißt.

00:17:13: Sylvie will ehrlich sein mit Peter.

00:17:16: Das hat er nach all den Eheljahren verdient.

00:17:18: Also legt sie die Karten auf den Tisch.

00:17:20: Sie fühlt sich von ihm nicht mehr verstanden, nicht mehr erfüllt in der Ehe und eingeengt von all den Verpflichtungen und Routinen.

00:17:27: Und sie ist verliebt in einen anderen.

00:17:31: Sylvie hat sich entschieden.

00:17:32: Sie wird Peter verlassen und damit aus dem Haus der Familie ausziehen.

00:17:36: Ein Gedanke, der ihr Mama Herz schwer werden lässt, aber einer, dem sie nachgehen muss, um selbst wieder glücklich zu werben.

00:17:43: Und das ist doch auch wichtig für ihre Kinder, dass sie eine zufriedene Mutter haben und eine, die ihnen vorlebt, dass man auf seinen eigenen Wünschen nachgehen sollte.

00:17:52: Denn das macht Sylvie jetzt.

00:17:53: Sie stellt sich selbst vorne an, hört auf ihre Bedürfnisse und gibt dem Leben mit Eckart eine echte Chance.

00:17:59: Im November, im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr.

00:18:13: Am Tag des Einzugs ist Sylvie schon morgens aufgeregt.

00:18:16: Als sie am Abend endlich von der Apotheke aus losfährt, erhielt sie eine kurze SMS von Eckart.

00:18:22: Schlüssel liegt unter der Wurzel, steht da nur.

00:18:25: Sie wundert sich, wird er selbst gar nicht da sein?

00:18:28: Sylvie merkt, wie sich Enttäuschung breit macht.

00:18:31: Sie hatte sich schon ausgemalt, wie sie gemeinsam den Einzug feiern.

00:18:34: Doch als Sylvie schließlich vor dem Haus steht, den Schlüssel in der Hand, spürt sie, was das alles wirklich bedeutet.

00:18:40: Das ist jetzt ihr neues Zuhause.

00:18:42: Zusammen mit ihrer neuen Liebe.

00:18:45: Glück durchströmt ihren ganzen Körper.

00:18:47: Sie öffnet die Tür, alles ist dunkel.

00:18:50: Dann steigt ihr der Duft von Räucherstäbchen in die Nase.

00:18:53: Auf dem Boden sieht sie kleine Teelichter brennen, die ihr den Weg durch die Dunkelheit bis ins Schlafzimmer weisen.

00:18:59: Sylvie muss schmunzeln.

00:19:01: Das sieht Eckhardt ähnlich.

00:19:03: Süss!

00:19:04: Ja.

00:19:05: Ein bisschen kitschig auch, aber süß.

00:19:07: Ja, ich habe auch gerade gedacht, wie lange wir jetzt zusammen, finde ich das jetzt süß oder finde ich das jetzt too much, aber ich finde es süß.

00:19:13: Ab wann, wieso?

00:19:14: Ab wann würdest du es dann too much finden und ab wieviel Monate süß?

00:19:19: Ich finde irgendwie, wenn man lange zusammen ist, dann finde ich es ein bisschen too much.

00:19:24: Nee, also gerade nicht.

00:19:25: Ich weiß es ja gerade andersrum.

00:19:28: Also am Anfang, wo man sich offenbar eh mehr ins Zeug legt als... Am Ende.

00:19:36: Da würde ich das wahrscheinlich zu kitschig finden.

00:19:38: Aber wenn man es halt irgendwie so sowas nach zwei oder drei Jahren ist, ist doch mega niedlich.

00:19:43: Also, ich meine, das speziell wäre jetzt auch nicht so mein Geschmack.

00:19:47: Das

00:19:47: mit den Teelig dann.

00:19:48: Ja, ja.

00:19:51: Aber es war eine coole Idee, weil er ja erst so getan hat, als wäre er nicht da.

00:19:54: Und das war schon ganz, ja, ganz süß.

00:19:57: Das Gefühl, angekommen zu sein, dass Sylvie in diesem Moment spürt, wird über die nächsten Jahre mit Eckart nur noch mehr gefestigt.

00:20:04: In einem Leben, das sich manchmal unendlich entschleunigt anfühlt, nämlich dann, wenn sie ausgiebige Waldspaziergänger unternehmen, ihrer Gartenarbeit nachgehen oder mit der schamanischen Gruppe an heilsam ritualen Teil nehmen.

00:20:16: Und eins, das sich manchmal aufregend anfühlt, dann, wenn sie gemeinsam auf Festivals tanzen, Gleitschirm fliegen oder spirituelle Reisen nach Indien unternehmen.

00:20:25: Und zwischendurch ist Sylvie weiterhin Mutter und Arbeitnehmerin.

00:20:29: Ihre vier Kinder haben die Trennung bisher gut verkraftet.

00:20:32: Sie hat weiterhin ein liebevolles Verhältnis zu ihnen.

00:20:35: Sogar zu ihrem Ex-Mann Peter entwickelt sich über die Jahre eine gute, respektvolle Beziehung.

00:20:40: Trotz der Enttäuschung und Kränkung anfangs ist er verständnisvoll, wofür Sylvie ihm sehr dankbar ist, vor allem der Kinderwegen.

00:20:47: Was die Arbeit angeht, hat sich Sylvie mit ihrer Stelle in der Apotheke arrangiert.

00:20:52: Die Idee, eine eigene Praxis als Heilpraktikerin zu eröffnen, hatte sie verworfen, da das Ganze für sie letztendlich zu viel bürokratischen Aufwand und zu viel Risiko bedeutete.

00:21:03: Seit sie, auch dank Eckhardt, sich selbst gefunden hat, fühlt sich ihr Beruf aber auch viel erfüllender an.

00:21:09: Sylvie ist eben angekommen.

00:21:12: Und an einem dieser Tage im August, an denen Sylvie nach Feierabend zufrieden aus der Apotheke kommt, sieht sie eine Frau, die ihr sofort bekannt vorkommt.

00:21:21: Eine attraktive, groß gewachsene Blondine.

00:21:24: Woher kennt sie sie noch mal?

00:21:26: Ist das Michelle?

00:21:27: Eine Freundin von Eckart aus der schamanischen Gemeinschaft.

00:21:30: Michelle ist Grafikdesignerin und gibt in der Gruppe Workshops für Kinder, in denen sie Traumfänger mit ihnen bastelt und Gipsabdrücke macht.

00:21:37: Das hatte Sylvie schon öfter mitbekommen.

00:21:40: Viel mehr weiß sie aber nicht von ihr.

00:21:42: Nur, dass sie normalerweise immer sehr selbstbewusst, expressiv und gut gelaunt wirkt.

00:21:47: Ganz im Gegensatz zu heute.

00:21:49: Möglich, dass Sylvie sie deswegen nicht gleich erkannt hat, denn heute sieht Michelle verloren aus.

00:21:54: Eine Mischung aus Anspannung und Erschöpfung liegt auf ihrem Gesicht.

00:21:58: Sylvie spricht sie an und fragt, wie es ihr geht und da sprudelt es nur so aus Michelle heraus.

00:22:03: Sie habe Probleme mit ihrem Ex, bei dem ihre zwei Kinder leben und aus ihrer Wohnung müsse sie auch raus und sie wissen nicht wohin.

00:22:10: Sylvie versteht sofort.

00:22:12: Die Trennung, die Angst um ein Zuhause, die Unsicherheit, das alles kennt sie.

00:22:16: Auch sie hat diese Brüche erlebt, vor mittlerweile mehr als drei Jahren, als sie sich vom Peter trennte und aus dem gemeinsamen Haus auszog.

00:22:23: Sylvie möchte helfen und so erzählt Sylvie Eckart später von Michelle Situation.

00:22:29: Die beiden überlegen, sie haben genug Platz hier im Haus mehr als Sylvie und Eckart brauchen.

00:22:34: Im Erdgeschoss liegen Wohnzimmer und Küche, im ersten Stock schlafen sie zusammen und haben noch ein Gästezimmer, in das sich Sylvie manchmal zurückzieht.

00:22:42: Im zweiten Stockwerk gibt es dann noch einen ganzen Wohnbereich mit eigenem Bad und Küche, den sie gar nicht nutzen.

00:22:48: Warum sollten Sie Michelle nicht helfen und ihr vorübergehend diese Räume zur Verfügung stellen?

00:22:53: Außerdem, eine Untermiete würde die Haushaltskasse aufstocken.

00:22:57: gesagt getan.

00:22:58: Ein paar Wochen später zieht die thirty- jährige Michelle auch schon ins zweite Stockwerk ein.

00:23:03: Dreihundert Euro Miete, kein Vertrag.

00:23:06: Und auch wenn die Räumlichkeiten klar getrennt sind, gibt es in den nächsten Wochen immer wieder gemeinsame Abendessen, gemütliches Beisammensein am Kaminfeuer und manchmal tiefe, manchmal quatschige, aber immer bereichernde Gespräche.

00:23:18: Eckert, Sylvie und Michelle hören und machen gemeinsam Musik.

00:23:22: Michelle bietet außerdem Massagen an, die nicht nur ihr langjähriger Freund Eckhardt, sondern auch Sylvie gerne annimmt.

00:23:28: Nach ein paar Monaten geht Michelle auch mal abends raus und sogar wieder auf Dates.

00:23:32: Sie scheint sich langsam zu fangen, was Sylvie freut.

00:23:35: Das Zusammenleben fühlt sich schon bald an wie eine kleine Gemeinschaft und damit ein bisschen wie die Verlängerung dessen, was Sylvie in der Schamanischen Gruppe gefunden hat.

00:23:44: Menschen, die sich gegenseitig stützen und voreinander da sind.

00:23:49: Doch das Miteinander der drei wird überschattet und zwar von Michelles anhaltenden Problem mit ihrem Ex-Mann.

00:23:55: Jedes Mal, wenn Sylvie die Telefonate der beiden mitbekommt, ist sie besorgt.

00:23:59: Lautstark wird über die Kinder gestritten, die Michelle fast nur an den Wochenenden sieht.

00:24:05: Nach ein paar Monaten öffnet sich Michelle Sylvie und Eckhardt gegenüber und erzählt ihnen von ihren Sorgen und Ängsten und von dem Streit, der zu eskalieren droht.

00:24:14: Doch Sylvie merkt schnell, dass sie sich ein wenig überfordert fühlt.

00:24:17: Sie weiß nicht, wie sie Michelle da wirklich helfen kann, mit welchen Worten und welchen Ratschlägen.

00:24:23: Ab jetzt fällt Sylvie nun auch häufiger auf, dass Michelle selbst mit der Situation immer weniger zurechtkommt.

00:24:29: Sylvie hört sie manchmal laut schluchzend oder brüllend in ihrem Zimmer.

00:24:33: Wenn sie ihr danach über den Weg läuft, wirkt Michelle niedergeschlagen und erschöpft.

00:24:37: Aber dann gibt es auch andere Tage.

00:24:39: Da sinkt Michelle euphorisch zu lauter Musik und scheint total gut drauf zu sein.

00:24:44: Sylvie kann deshalb nicht wirklich einschätzen, wie schlimm die Lage tatsächlich ist.

00:24:49: Eckhardt ist da näher dran.

00:24:50: Er kennt Michelle schon viel länger und er ist es auch dem Michelle viel mehr anvertraut.

00:24:56: Der fünfundfünfzigjährige wird in den nächsten Monaten zur echten Stütze für sie.

00:25:00: Er hat immer ein offenes Ohr.

00:25:02: Es liegt in seiner Natur zuzuhören, Tipps zu geben, da zu sein mit dieser geduldigen, aufmerksamen Art, die Sylvie so sehr an ihm liebt.

00:25:10: Für Michelle scheint das wie ein Rettungsanker zu sein.

00:25:13: Immer wieder stecken die beiden die Köpfe zusammen.

00:25:16: Sylvie ist froh, wenn die Gespräche nicht mehr in der Küche, sondern oben bei Michelle stattfinden.

00:25:21: Aber sie spürt, wie die Mitbewohnerin immer mehr Raum einnimmt, wie ihre Stimme lauter und ihre Präsenz im Haus größer wird.

00:25:30: Wie an einem Tag, an dem ihre Söhne, sechs und sieben Jahre alt, gerade zu Besuch sind.

00:25:35: Michelle ist deshalb schon den ganzen Tag gut drauf und es scheint auch alles ganz normal zu verlaufen, bis die Situation im Obergeschoss plötzlich aus den Fugen gerät.

00:25:44: Sylvie hört, wie Michelle und ihr ältester Sohn heftig streiten.

00:25:48: Kurze Zeit später stimmt zuerst der Junge an Sylvie vorbei nach draußen, dann läuft Michelle ihm hinterher.

00:25:54: Sylvie bleibt drahtlos zurück.

00:25:56: Nach einer Weile kommen die beiden zurück und gehen schweigend ins Obergeschoss.

00:26:00: Sylvie glaubt, die Situation sei gelöst, doch dann klingelt es an der Tür.

00:26:04: Als Sylvie öffnet, steht der Opa der Kinder väterlicherseits vor ihr.

00:26:09: Ein älterer Mann, dem die Lage sichtlich unangenehm ist, der aber fest entschlossen ist, seine Enkelkinder abzuholen.

00:26:15: Sylvie ruft nach Michelle, doch die weigert sich.

00:26:19: Niemand nimmt mir die Kinder weg, flucht sie durchs ganze Haus.

00:26:22: Sylvie fühlt sich in dieser Situation vollkommen überfordert und fehl am Platz.

00:26:27: So sie versuchen zu schlichten oder den Großvater wegschicken.

00:26:30: Sie will nicht zwischen die Fronten geraten und überlegt gerade noch, da kommen die Kinder bereits die Treppe herunter.

00:26:36: Schließlich steigen die Jungs zu ihrem Großvater ins Auto, während Michelle schluchzend in ihrem Zimmer verschwindet.

00:26:42: Nachdem die Tür im Schloss gefallen ist, herrscht im Haus bedrückte Stimmung.

00:26:46: Sylvie hört, wie Michelle in ihrem Zimmer laut weint und sieht, wie Eckart unruhig durchs Haus läuft.

00:26:51: Gerade für ihn, der als Erzieher Kinder über alles liebt, ist kaum zu ertragen, wie der Großvater einfach aufgetaucht ist und die Kleinen ohne Rücksicht hin- und hergeschoben werden.

00:27:01: Sylvie und Eckart fragen sich, ob sie den Mann nicht einfach hätten wegschicken sollen.

00:27:05: Doch am Ende wissen sie auch nicht wirklich, was Sache war und sehen sich auch nicht in der Rolle, sich zu tief einzumischen.

00:27:11: Trotzdem tut ihnen Michelle an diesem Abend einfach nur Leid.

00:27:14: Hatte sie sich doch so gefreut, mal wieder Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.

00:27:19: Sylvie beobachtet von nun an, wie sich Michelle immer mehr zurückzieht.

00:27:23: Tage lang bleibt sie in ihrem Zimmer.

00:27:24: Der Kontakt zur Außenwelt reißt langsam ab.

00:27:28: Sylvie bereitet diese Entwicklung große Sorgen.

00:27:30: Sie wünscht sich, dass Michelle aus der Misere findet und damit vielleicht auch bald aus ihrem Haus.

00:27:35: Denn inzwischen fühlt sich Sylvie in den eigenen Verwänden immer weniger zu Hause.

00:27:40: Im Spätsommer-Zweiterhnundzwanzig ist schon mehr als ein halbes Jahr vergangen, in dem das Zusammenleben mit Michelle mehr und mehr zur Belastungsprobe wird.

00:27:49: Die Zeit der unbeschwerten Gemeinschaft ist längst vorbei.

00:27:52: Gemeinsame Abende gibt es kaum noch.

00:27:54: stattdessen, herrscht Rückzug und angespanntes Nebeneinander.

00:27:58: Als Sylvie an einem September-Tag gerade in ihrer Mittagspause im Ruhrraum der Apotheke sitzt, greift sie beide auf sich zum Handy, öffnet Facebook und erstaunt.

00:28:07: Auf ihrem Bildschirm sieht sie ein Selfie von Michelle, aufgenommen auf Sylvies und Eckhardt's Sofa.

00:28:13: Hinter ihr das Blättermandala an der Wand, das Eckhardt gebastelt hat.

00:28:18: Michelle hat ohne zu fragen den privaten Bereich von Sylvie und Eckart betreten und damit Sylvie's Privatsphäre missachtet.

00:28:25: So fühlt es sich zumindest für Sylvie an, die immer noch unglaublich auf ihr Handy blickt.

00:28:30: Bislang war Michelle anstrengend, ja, Streit mit dem Ex, lautes Gebrüll und Situation wie mit dem Großvater, in die Sylvie ungewollt hinein gezogen wird.

00:28:39: Aber dieses Selfie, das ist eine neue Art der Grenze Überschreitung.

00:28:44: Hat Eckard ihr das erlaubt oder wie kommt sie darauf so etwas zu machen und dann auch noch zu posten?

00:28:49: Sofort ruft Sylvie bei Eckard an.

00:28:51: Er könne sich das Verhalten von Michelle auch nicht erklären, verspricht aber mit ihr zu sprechen, sobald ihr zu Hause ist.

00:28:57: Für Sylvie bleibt ein ungutes Gefühl.

00:29:00: Was macht Michelle allein in ihrem Wohnzimmer?

00:29:04: Kurz zweifelt sie an sich selbst.

00:29:05: Ist sie vielleicht zu streng?

00:29:07: Überinterpretiert sie alles?

00:29:09: Doch es lässt sie nicht los und sie hat das Bedürfnis, auch selbst etwas zu Michelle zu sagen.

00:29:14: Sie schreibt ja also eine höfliche, aber bestimmte Nachricht.

00:29:16: Sie sollte das Foto bitte löschen.

00:29:19: Michelle reagiert zwar auf Sylvie's Text nicht, löscht aber das Foto.

00:29:24: Für Sylvie ist nach dieser Aktion so oder so klar.

00:29:26: Michelle muss ausziehen und zwar lieber früher als später.

00:29:30: Ihre Gastfreundschaft hat Michelle längst überstrapaziert.

00:29:33: Was als vorübergehende Hilfe für wenige Wochen gedacht war, ist mittlerweile zu einem ganzen Jahr geworden, in dem das Zusammenleben immer unerträglicher geworden ist.

00:29:42: Also ich kann mir das ja auch nicht vorstellen.

00:29:46: so lange Zeit jemanden bei sich wohnen zu haben, ne?

00:29:48: Nee.

00:29:49: Ich hatte das mit meinem Ex-Partner mal, das zweimal Verwandte von ihm länger bei uns gewohnt haben in einer Zweizimmerwohnung, also die haben wir dann halt im Wohnzimmer gelebt, während die jeweils eine Wohnung in Berlin gesucht haben, was natürlich nicht leicht ist und eine lange Zeit dauert.

00:30:07: Und es ist einfach, man fühlt sich dann halt nicht so richtig zu Hause.

00:30:11: Nee.

00:30:12: Und überhaupt immer jemanden da zu haben, der jetzt nicht zur Familie gehört oder so, ist einfach anstrengend.

00:30:18: Man will ja auch einfach mal nach Hause kommen und niemand ist da.

00:30:21: Ja,

00:30:21: genau.

00:30:22: Und dann, wenn man noch eine Person hat, die irgendwie immer laut ist oder ... Ja, dann halt so Aktionen irgendwie vorkommen, wo man sich irgendwie plötzlich fühlt.

00:30:31: Jetzt müsste man hier irgendwie einen Streit schlechten oder so was.

00:30:34: Also stell ich mir auch ganz, ganz unangenehm vor.

00:30:36: Und passiert was, bei dem man denken könnte, vielleicht ahnt Michelle das schon so ein bisschen, dass da was im Agen ist.

00:30:42: Denn sie kündigt an, für ein paar Wochen nach Berlin zu fahren, um Abstand zu gewinnen.

00:30:47: Und als Michelle weg ist, ist es für Sylvie, als würde jemand im Haus die Fenster weit aufreißen, um frische Luft reinzulassen.

00:30:53: Plötzlich ist alles still.

00:30:55: Kein Poltern des Treppen steigen, keine laute Musik, kein Geschrei, dass ihr den Feierabend raubt.

00:31:00: Zum ersten Mal seit Monaten spürt sie, wie gerne sie nach Hause kommt, wie viel leichter alles fällt, wenn sie abends ihrem Schlüssel in Schloss steckt, ohne im Hinterkopf das nächste Drama oder auch nur ein Unwohlsein zu fürchten.

00:31:12: Einfach friedliche Abende mit Eckhardt auf dem Sofa zu verbringen und ihn nur für sich zu haben, fühlt sich an wie ein Lottogewinnen.

00:31:20: Doch Ende September steht Michelle wieder vor der Tür, mit seinem Koffer und einem Lächeln, das etwas zu lange anhält.

00:31:27: Sie sagt, sie sei froh, wieder da zu sein.

00:31:29: Sylvie nickt nur.

00:31:31: Ein Teil in ihr hatte gehofft, dass dieser Moment nie kommen würde, aber da ist er und es dauert nicht lang.

00:31:36: und Sylvie merkt, dass Berlin Michelle nicht geholfen hat, Abstand zu bekommen.

00:31:40: Im Gegenteil, die Fronten zwischen Michelle und ihrem Ex haben sich komplett verhärtet und Michelle sieht ihre Kinder immer seltener.

00:31:50: Wie würdest du das regeln?

00:31:51: Du bist ja von uns beiden die, die auf jeden Fall viel mehr für ihre Bedürfnisse und für ihren Komfort einsteht.

00:31:58: Du würdest wahrscheinlich gleich sagen,

00:32:00: nö

00:32:01: und die Tür wieder zu

00:32:02: klein.

00:32:02: Ja, nicht mehr reinlassen.

00:32:05: Also ich würde sagen, eine Notlüge tut es ja auch manchmal.

00:32:10: Ich würde sagen, ab dem nächsten Monat habe ich hier jetzt mal im Neffen versprochen, hier zu wohnen.

00:32:16: Ja, so was ist gut.

00:32:17: Weil dann

00:32:17: hat die Person noch ein bisschen Zeit, auch sich was Neues zu suchen.

00:32:20: Das ist ja auch nötig.

00:32:22: Ja, aber dass die jetzt auch eh einfach unangekündigt dann wieder da vor der Tür steht.

00:32:26: Ja, schwierig.

00:32:29: In den nächsten Tagen liegt Sylvie nachts oft wach.

00:32:32: Geräusche aus Michel's Zimmer rauben ihr den Schlaf.

00:32:35: Wir man lautes Schluchzen und Geschrei wechseln sich ab mit Stille.

00:32:40: Immer wieder entdeckt sie morgens, dass Zimmer im Haus hell erleuchtet sind, zu denen Michelle eigentlich keinen Zugang haben dürfte.

00:32:47: Sylvie fühlt sich nicht mehr wohl.

00:32:49: Trotzdem traut sie sich nicht, Michelle darauf anzusprechen.

00:32:52: Zu groß ist die Sorge vor einer lauten Konfrontation.

00:32:55: Doch schnell eskaliert die Situation trotzdem.

00:32:58: An einem Abend stürmt Michelle wütend die Treppe hinunter und beschuldigt Sylvie, sich an der Wasserleitung zu schaffen, gemacht zu haben.

00:33:05: Sylvie ist irritiert und schockiert.

00:33:08: Was soll sie?

00:33:08: Sie hat gar nichts gemacht.

00:33:10: Was soll das?

00:33:12: Als Michelle Wut entbrannt nach oben verschwindet, weiß Sylvie, das war es jetzt.

00:33:16: Die fünfundfünfzielige sucht noch am selben Tag das Gespräch mit Eckhardt.

00:33:20: Dabei gibt sie sich ruhig, während es in ihr buddelt.

00:33:23: Denn es ist ernst.

00:33:25: Sylvie stellt Eckhardt vor die Wahl.

00:33:27: Entweder Michelle verschwindet oder ich.

00:33:30: Was Sylvie nicht ernt, ist, dass sie mit diesem Ultimatum ein Stein ins Rollen bringt, der nicht nur ein Menschenleben in den Abgrund reißen wird.

00:33:39: Nachdem Sylvie Eckart vor die Wahl gestellt hat, sie oder Michelle ist die Entscheidung gefallen.

00:33:44: Michelle muss jetzt gehen.

00:33:46: Sagen wollen sie es ihr heute, und zwar beim gemeinsamen Abendessen.

00:33:50: Als draußen langsam die Sonne über Nürnberg untergeht, sitzen sie drei nach einer gefüllten Ewigkeit, also mal wieder zu dritt am Tisch, so wie es für eine WG nicht ungewöhnlich für sie aber nicht alltäglich ist.

00:34:02: Es gibt Nudeln mit selbst gesammelten

00:34:04: Pilzen.

00:34:05: Und während Sylvie und Eckard dort sitzen und essen, schwindet ihr Mut ihrer Mitbewohnerin zu sagen, dass sie ausziehen muss.

00:34:11: Denn Michelle ist ungewohnt gut gelaunt, lacht viel und dankt den beiden überschwänglich für alles, was sie für sie tun.

00:34:18: Wie gesagt, ich glaube, sie riecht das in dem Moment und steuert deswegen dann dagegen.

00:34:23: Das ist natürlich auch unfair, ja.

00:34:25: Aber ist es auch ihre Verzweiflung wahrscheinlich?

00:34:27: Klar.

00:34:27: Für

00:34:29: Sylvie jedenfalls fühlt sich das alles falsch an, wie eine Inszenierung, aber sie spielt dennoch mit, höflich, steif, völlig verunsichert und fast schon verzweifelt.

00:34:39: Er hat Lächel verständnisvoll, wie immer, wenn er Frieden wahren will und Sylvie fragt sich, ob er im letzten Moment einen Rückzieher machen wird.

00:34:46: Nach dem Essen bleiben Sylvie und Eckhardt überfordert zurück.

00:34:49: Sie haben es ihr nicht gesagt.

00:34:51: Sie haben es einfach nicht übers Herz gebracht.

00:34:54: Aber sie wissen beide, dass es so nicht weitergehen kann und nehmen sich fest vor, morgen Nägel mit Köpfen zu machen.

00:35:00: Nachdem sie die Teller in die Spülmaschine geräumt und die Küchenplatte gewischt haben, ziehen sie sich in ihr Wohnzimmer zurück.

00:35:05: Sie öffnen eine Flasche Wein, machen sich einen seichten Film an und Sylvie kuschelt sich auf dem Sofa an Eckhardt, mit dem Gedanken, dass das Problem bald gelöst ist.

00:35:15: Und für einen kurz... Moment fühlt es sich an wie früher, fast als wäre der Störenfried schon gar nicht mehr da.

00:35:22: Doch dann macht sich Michelle bemerkbar.

00:35:25: Sylvie hört erst das Knarzen der Treppe, dann taucht Michelle im Wohnzimmer auf.

00:35:29: Sie fragt nach dem Festnetztelefon.

00:35:32: Das W-Land funktioniert nicht und sie müsse dringend ihre Kinder erreichen.

00:35:36: Da ist es bereits kurz vor elf.

00:35:39: Sylvie sagt vorsichtig, dass es doch schon spät sei und die Kinder bestimmt schon schlafen.

00:35:43: Könne es nicht bis morgen warten?

00:35:46: Doch Michelle beharrt darauf, greift nach dem schnurlosen Telefon und geht mit festen Schritten, die von der Holztreppe wiederhallen nach oben.

00:35:54: Sylvie spürt dieses Ziehen im Bauch, diese Befürchtung, dass es vielleicht wieder eine dieser Nächte ist, die laut werden nach einem Streit mit dem Ex.

00:36:02: Sie lehnt sich ein Eckhardt in der Hoffnung, Trost und Ruhe in seinen Armen zu finden.

00:36:07: Und tatsächlich bleibt es überraschend still.

00:36:09: Als der Abspann des Films über den Bildschirm flackert, trinken sie den letzten Tropfen Wein aus und gehen dann schlafen.

00:36:17: Irgendwann in der Nacht wird Sylvie von Eckards laut im Schnarchen geweckt.

00:36:20: Sie weiß, dass es schwer sein wird, mit diesem Geräusch wieder einzuschlafen.

00:36:24: Und weil sie morgen früh zur Arbeit muss, entschließt sie sich ins Gästezimmer nebenan zu ziehen.

00:36:29: Dort legt sie sich ins Bett und schläft schnell wieder ein.

00:36:32: Doch gegen fünf Uhr wird Sylvie ein zweites Mal aus ihren Träumen gerissen.

00:36:36: Wieder durch Eckart, aber diesmal ist es nicht sein Schnarchen.

00:36:40: Eckart hat Sylvie's Namen geschrieben.

00:36:42: Sylvie ist sofort hellwach.

00:36:44: Adrenalin und Cortisol strömen durch ihren Körper, als sie aus dem Bett springt und bloß rennt.

00:36:49: Sie ist schon fast bei ihm, als ein weiterer Schrei folgt, diesmal voller Todesangst.

00:36:55: Sylvie, sie hat ein Messer, ruft er.

00:36:57: Sylvie läuft ins Schlafzimmer, sieht Michelle über Eckart gebeugt, der Blut überströmt auf dem Bett liegt.

00:37:02: Die beiden ringen um ein Messer und Sylvie stürzt drauf los, ohne nachzudenken.

00:37:07: Sie versucht Michelle das Messer aus der Hand zu reißen, aber es gelingt ihr nicht.

00:37:11: Sylvie braucht Hilfe und deshalb rennt sie eine Etage tiefer, während das Blut von Eckart an ihrem Schlafanzug klebt.

00:37:18: Sie muss ins Wohnzimmer, dorthin, wo die Station für das Festnetztelefon ist.

00:37:22: Erst als sie ankommt, fällt ihr ein, dass Michelle das Gerät ja am Abend mit nach oben genommen hat.

00:37:27: Also macht Sylvie auf dem Absatz kehrt, doch anstatt zu den Nachbarinnen zu laufen oder zu ihrem Handy im ersten Stock eilt sie wie ferngesteuert wieder die Treppe hinauf, zwei Etagen zu Michelle's Zimmer.

00:37:39: Doch bevor sie dort ankommt, spürt sie auf der letzten Stufe der Treppe einen Schatten hinter sich und eine kalte, nasse Hand auf ihrem Nacken.

00:37:47: Sylvie bleibt wie angewurzelt stehen.

00:37:49: Dann dreht sie im Kopf vorsichtig nach hinten.

00:37:52: Dabei sieht sie, wie die blutverschmierte Klinge des Messers in Michelles rechter Hand aufblisst.

00:37:57: Michelle hat Sylvie fest im Blick, die Augen weit, die Stimme klar.

00:38:01: Wir müssen los, fordert sie sie auf.

00:38:04: Sylvie begreift nicht.

00:38:05: Was?

00:38:06: fragt sie mit zitternder Stimme.

00:38:08: Ins Auto, jetzt, zum Hof, befiehlt ihr Michelle.

00:38:12: Wie in Trance geht Sylvie das Messer an ihrem Hals die Treppe wieder hinunter.

00:38:16: Im Vorbeigehen muss sie aus dem Augenwinkel mit ansehen.

00:38:19: Die Ecke hat nun in einer Lache ausblut neben dem Bett auf dem Boden liegt.

00:38:23: Michelle nimmt ihre Tasche und fordert Sylvie auf, den Autoshüsse zu holen und ihre Schuhe anzuziehen.

00:38:29: Doch der Autoshüsse liegt im Nachtkästchen im Schlafzimmer.

00:38:32: Sylvie muss also barfussig durch Eckards Blutlache laufen, um ihn zu holen.

00:38:37: Es ist noch dunkel draußen und es regnet, als Sylvie und Michelle das Haus verlassen und Sylvie ihren weißen Fort aufschließt.

00:38:44: Sie soll auf der Fahrerseite einsteigen und anstatt dass Michelle danach auf der anderen Seite einsteigt, klettert sie über Sylvie rüber bis auf den Beifahrer sitzt.

00:38:53: Sylvie wird klar, Michelle wird ihr keine Chance geben zu fliehen.

00:38:57: Zum Hof wiederholt Michelle immer wieder.

00:39:00: Sylvie weiß nicht genau, wo der Hof liegt.

00:39:03: Sie weiß nur, dass dies die Bezeichnung des Wohnorts von Michelles Ex-Mann und den beiden Kindern ist.

00:39:09: Es ist ca.

00:39:10: fünf Uhr fünfundvierzig an diesem fünften Oktober, als Sylvie ihren Wagen zur Dant aus der Ausfahrt buxiert.

00:39:16: Während sie durch die Dunkelheit und die prassenden Regentropfen fährt, fragt sie sich, wie dieser schreckliche Tag enden wird.

00:39:22: Was hat Michelle vor, wenn sie das Haus ihres Ex-Mannes erreicht?

00:39:26: Wird sie ihn zwingen, ihr die Kinder zu übergeben?

00:39:28: Wird sie ihn umbringen oder womöglich alle drei?

00:39:31: Oder auch noch sich selbst und Sylvie?

00:39:33: Beim Gedanken daran wird ihr schwindelig und ihr Überlebensinstinkt setzt ein.

00:39:38: Ohne nachzudenken fängt sie an immer wieder auf die Hube zu drücken, bis sie erneut die Hand von Michelle auf ihrem Lacken

00:39:44: spürt.

00:39:45: Der fünfundfünfzigjährigen bleibt nichts anderes übrig, als Michelles Anweisung Folge zu leisten und trotzdem versucht sie in den nächsten Minuten unauffällig auf sich aufmerksam zu machen.

00:39:55: Immer wieder blinkt sie die wenigen Autos, die ihr zu dieser Tageszeit entgegenkommen mit dem Scheinwerferlicht an.

00:40:01: Sie hofft, dass jemand sie sieht, dass jemand begreift, dass sie in Gefahr ist.

00:40:05: An einem Kreisverkehr verlangsamt sie das Tempo, lässt den Wagen leicht schninnern, als sei sie betrunken.

00:40:10: Doch Michelle merkt es und warnt sie, das Messer, noch immer in der Hand.

00:40:15: Als ihr kurze Zeit später auf die Autobahn fahren lässt Michelle plötzlich das Fenster runter und fängt an Gegenstände hinaus zu werfen.

00:40:22: Ob das Messer dabei ist, sieht Sylvie nicht.

00:40:25: Die Fahrt fühlt sich für sie an, als würde sie Ewigkeiten dauern.

00:40:28: Dann reflektiert in der Ferne plötzlich etwas ihr Scheinwerferlicht, ein Autobahnschild.

00:40:33: Der Hinweis auf die nächste Ausfahrt.

00:40:35: Sylvie weiß, dass danach erst mal länger keine Abfahrt von der Autobahn kommt.

00:40:40: Es ist vielleicht ihre letzte Chance, weiteres Unglück zu verhindern.

00:40:44: Also nutzt sie sie, reist das Lenkrad rum und nimmt die Ausfahrt auf die einspurige Landstraße.

00:40:49: Wieder drosselt sie ihr Tempo, um auf sich aufmerksam zu machen und tatsächlich bildet sich durch den einsetzenden Berufsverkehr hinter ihr eine kurze Schlange.

00:40:58: Als der Weiße fort immer langsamer wird und fast zum Stehen kommt, springt Michel unversehens aus dem noch rollenden Auto.

00:41:04: Ohne zu überlegen, drückt Sylvie aufs Gas.

00:41:07: Sie kann nicht fassen, was gerade passiert ist.

00:41:09: Im Gras kopflos in die nächstgelegene Wohnsiedlung.

00:41:12: Sie muss Hilfe holen für Eckart.

00:41:14: Auf der Straße kommt ihr einen Transporter entgegen.

00:41:17: Sylvie hält den Fahrer an und mit seiner Hilfe verständigt sie die Polizei und den Rettungsdienst.

00:41:22: Rettung für Eckart, hofft Sylvie.

00:41:25: Ein paar Stunden später sitzt Sylvia auf einer harten Bank in einer Polizeidienststelle in Nürnberg.

00:41:31: Sie trägt einen weißen Anzug der Spurensicherung, der zwei Nummern zu groß ist.

00:41:35: Ihre eigene Kleidung hat sie als Beweismittel in einer Tüte abgeben müssen.

00:41:40: Um sie herum stimmen Gewür, Telefonate und das Klackern von Tastaturen.

00:41:44: Und dann hört sie es plötzlich.

00:41:47: Niemand erzählt es ihr direkt, aber durch das Gespräch zu ihr Polizisten erfährt sie, dass ihre allerschlimmste Befürchtung wahr geworden ist.

00:41:54: Eckart ist tot.

00:41:57: Wie sie das erlebt hat, hat sie wie uns im Gespräch selber erzählt.

00:42:01: Ich war so erstarrt eigentlich in dem Moment und habe aber nichts gefühlt.

00:42:07: Also eine Lehre war da und auch ein eher einfach überdeckt.

00:42:12: durch diesen Schock und durch dieses Trauma habe ich nichts gespürt.

00:42:16: Also diese Verzweiflung war irgendwie zwar da, aber nicht füber.

00:42:22: Keine Trauer, keine Wut, keine Tränen.

00:42:25: Nur diese dumme Lehre, als wäre sie wie in Warte gepackt, als könne nichts mehr zu ihr durchdringen.

00:42:31: In diesem Zustand wird sie befragt, immer und immer wieder.

00:42:34: Sie wie antwortet und nickt, wenn man ihr etwas erklärt.

00:42:37: Sie funktioniert weiter wie eine Maschine, und so, als ob sie sich von oben selbst beobachtet, aber nicht greifen kann.

00:42:44: Dann, irgendwann am Vormittag, wird sie durch einen Flur geführt, und da sieht sie sie.

00:42:49: Michelle.

00:42:50: Beim Rausspring aus dem Auto hatte sie sich am Fuß verletzt, bevor sie kurz Zeit später von der Polizei aufgegabelt wurde.

00:42:57: Deshalb liegt sie jetzt auf einer Trage, nur wenige Meter trennen Sylvie von der Frau, die ihre große Liebe getötet hat.

00:43:05: Doch auch in diesem Moment kommt kein Gefühl in ihr auf, auch keine Gedanken.

00:43:09: Der Schockzustand scheint jede menschliche Regung zu überlagern.

00:43:14: Am Nachmittag kurze endlich ihre Freundin Karin ab, die sie mit zu sich auf den Bauernhof nimmt.

00:43:19: Die Autofahrt und das Ankommen erlebte sie wie hinter einem Dunstschleier.

00:43:24: Ihre ersten klaren Gedanken kann sie erst am Abend fassen, hat sie uns erzählt.

00:43:28: Meine erste Erinnerung war, dass ich im Badezimmer sitze in der Badewanne und mir das Blut von Eckart von den Füßen wasche und dieses Gefühl, dass die letzten Überreste des Partners im Abfluss verschwinden.

00:43:43: Langsam beginnt sie, wie zu begreifen, was passiert ist.

00:43:46: Sie hat die Liebe ihres Lebens verloren.

00:43:48: Sie hat hilflos zusehen müssen, wie Eckart gewaltsam sterben musste.

00:43:52: Sie wurde in ein Auto gezerrt, mit einem Messer bedroht, gezwungen loszufahren, ohne zu wissen, ob sie gleich Zeugen eines weiteren Verbrechens wird oder ob sie die nächste Stunde überhaupt überleben wird.

00:44:02: Sie weiß, dass das die Fakten sind.

00:44:05: Aber fassen kann sie sie noch immer nicht wirklich.

00:44:08: Wie konnte all das passieren?

00:44:10: Und vor allem, wieso?

00:44:13: Die nächsten Wochen bleibt Sylvia auf dem Hof von Karin.

00:44:15: Tagsüber hilft sie bei der Ernte, Äpfel flücken, Tomaten trocknen, einfache Handgriffe, die zumindest etwas Struktur geben.

00:44:23: Abends sitzt sie mit Karin zusammen, manchmal reden sie, manchmal schweigen sie.

00:44:27: Nachts schläft Sylvia mit ihrer Freundin in einem Bett, weil sie Angst vor der ungewunden Einsamkeit hat.

00:44:33: Tagsüber macht sie mit Karins rund ausgiebige Spaziergänge, am liebsten zu einer aufgeschichteten Naturmauer, die Eckhardt angelegt hat.

00:44:41: Manchmal sitzt Sylvie dort bis tief in die Nacht, blickt ihn auf zu den Sternen, und wenn dann eine Sternstumpe über den Himmel zieht, fragt sie sich, ob das vielleicht ein Zeichen von Eckart ist.

00:44:50: Sie vermisst ihn so schrecklich, dass ihr Herz physisch schmerzt.

00:44:54: Zu der unvorstellbaren Trauer um Eckart und dem Schrecken jener Nacht gesährt sich schnell auch noch ein anderes furchtbares Gefühl.

00:45:01: Das Gefühl, eine Mitschuld an Eckarts Tod zu tragen.

00:45:04: Schließlich war sie es, die Michelle überhaupt erst ins Haus geholt hat.

00:45:08: Immer wieder fragt sich Silvia, ob alles passiert wäre, wenn sie damals nicht geholfen und nicht vermittet hätte.

00:45:14: Und auch, ob sie in der Tat Nacht anders hätte reagieren und damit alles verhindern können.

00:45:19: Dieses Quälende, was wäre wenn, dass sie wie ein Schatten auf ihr ohnehin schon schweres Herz legt, wird zu einem ständigen Begleiter in ihrem neuen zerbrechlichen Alltag.

00:45:29: Am neunten November findet schließlich Ergaz Trauerfeier auf dem Gartengrundstück neben seinem Bauwagen statt.

00:45:35: Viele Freundinnen und Weggefährtinnen sind gekommen.

00:45:38: Sie versammeln sich im Kreis, teilen Erinnerungen an ihnen und schmücken den großen Apfelbaum, der neben dem Wagen steht mit Schleifen und Sprüchen.

00:45:46: Die Trauerfeier ist der offizielle Abschied von Ergaz, doch abschließen mit dem, was passiert ist, kann sie wie nicht.

00:45:52: Vor allem abends, wenn sie nun in ihrer neuen kleinen Wohnung allein im Bett legt, schießen ihr die Bilder in den Kopf, die sie immer wieder auch in ihren Träumen verfolgen.

00:45:59: Davon hat sie uns erzählt.

00:46:01: Da hatte ich doch schon Albträume von der Täterin und vor allem, dass sie bei mir in da, wo ich wohne, die Treppe hochkommt, also dieses Typische, was man kennt im Traum.

00:46:11: Man ist einfach zu langsam.

00:46:12: Man kann das, was man tun will, eigentlich nicht tun, weil man nicht vorwärts kommt.

00:46:16: Sylvie versucht halt, im Alltag zu finden.

00:46:19: Sie kehrt zurück in die Apotheke und meldet sich im Fitnessstudio an.

00:46:22: Fünfmal die Woche geht sie hin, manchmal sogar noch häufiger.

00:46:26: Oft hebt sie die schweren Gewichte bis zur völligen Erschöpfung.

00:46:29: Solange, bis sie keine Kraft mehr hat, um noch nachzudenken oder Gefühle zuzulassen.

00:46:34: Doch die Tat holt Sylvie immer wieder ein.

00:46:37: So glaubt Sylvie einmal Michelle im Fitnessstudio wieder zu sehen, was in ihr sofortkörperliche Symptome und große Panik auslöst.

00:46:44: Dabei weiß sie, dass sie Michelle nicht im Fitnessstudio begegnen kann.

00:46:48: Michelle ist schon seit der Tat nicht mehr in Freiheit.

00:46:51: Doch Sylvie's Körper scheint das noch nicht begriffen zu haben.

00:46:54: Aber Sylvie wird Michelle wieder sehen, das steht schon fest, denn der Gerichtsprozess gegen sie ist bereits für den Herbst anbraunt.

00:47:01: Sylvie graut ist davor, deshalb will sie vorbereitet sein.

00:47:04: Zu diesem Zweck sucht sie sich nicht nur einen Anwalt, sondern auch einen Therapeuten.

00:47:08: Die Therapie hilft ihr Stück für Stück das Erlebte zu sortieren und die lebenden Schuldgefühle ein wenig zu lindern.

00:47:15: Doch eine Frage bleibt, nicht nur für sie, sondern für alle, die von der verhängnisvollen Nacht im Oktober erfahren.

00:47:22: Warum?

00:47:22: Warum hat Michelle dieses unfassbare Verbrechen begangen, ausgerechnet gegen jene Menschen, die ihr geholfen, sie in ihrer schwersten Krise aufgenommen und ihr ein Zuhause gegeben haben?

00:47:33: Die Antwort darauf soll im Prozess gegeben werden, der am zehnten Oktober-Zw.A.

00:47:38: am Landgericht Nürnberg-Fürt beginnt.

00:47:41: Und damit fast genau ein Jahr nach Eckertstod.

00:47:44: An diesem Montagmorgen sitzt Sylvie angespannt in dem Schwurgerichtssaal, in dem heute verhandelt werden soll.

00:47:50: Der Raum ist groß, alt, ein wenig einschüchternd, mit hohen Fenstern, schweren Holzbänken und Polizistinnen an Türen und Fenstern.

00:47:58: Sylvie wird bewusst, dass sie Michelle gleich zum ersten Mal wiedersehen wird und ihr Körper reagiert sofort.

00:48:04: Kalter Schweiß benetzt ihr Haut und sie führt ihren Blutdruck steigen.

00:48:09: Nur die Anwesenheit ihres Anwalts beruhigt die mittlerweile fifty-sechige ein wenig.

00:48:13: Mit ihm hat sie sich auf diesen Tag vorbereitet.

00:48:16: Sylvie hat die Nebenklage angetreten.

00:48:18: Darüber musste sie nicht lange nachdenken.

00:48:21: Sie wollte es nicht nur, weil sie selbst Opfer von Michelle ist, sondern auch, weil sie ist Eckart schuldig ist.

00:48:26: Sylvie will für ihn einstehen, jetzt, wo er es nicht mehr persönlich kann.

00:48:32: Als Michelle endlich in den Saal geführt wird, setzt Sylvie's Herz nochmal kurz aus.

00:48:36: Die Frau, die dafür verantwortlich ist, dass Sylvie heute kein Partner mehr hat, setzt sich nur ein paar Meter von ihr entfernt auf die Anklagebank.

00:48:43: Michelle wirkt auf Sylvie apathisch, verschlossen und stumm.

00:48:47: so, als hätte sich eine schwere Glasscheibe zwischen sie und die Welt geschoben.

00:48:51: Kein Blick zu Sylvie, kein Wort, nichts.

00:48:54: Und obwohl so viel Sicherheitspersonal im Raum ist, überrollt Sylvie ein Gefühl der Bedrohung.

00:48:59: Der Abstand zwischen ihr und Michelle ist zu gering, nur ein Tisch, kaum mehr als ein paar Schritte.

00:49:04: Es ist eine irrationale Angst, das weiß Sylvie, aber sie lässt sich trotzdem nicht verdrängen.

00:49:09: Acht Prozesttage sind angesetzt, acht Tage, in denen Sylvie dies nun aushalten muss.

00:49:15: Die erste große Herausforderung für die sechsundfünfzigjährige ist, sich die Anklage anzuhören, die der Staatsanwalt nun verließt.

00:49:22: Die Schlagwortel Mord und Nötigung sind für sie nicht greifbar, aber die Details zur Tat.

00:49:28: Die werfen sie wie sofort zurück in die Nacht vom fünften Oktober zweitausendundzwanzig, jene Nacht, die ihr Leben unwiderruflich geteilt hat, in einer Form und einer danach.

00:49:38: Mit jedem Satz, mit jeder Erinnerung reist die Wunde in ihr wieder auf.

00:49:44: Nachdem der Staatsanwalt die Anklageschrift zur Seite legt und die Beweisaufnahme beginnt, zieht sich Sylvis Magen zusammen, denn sie ahnt, was jetzt folgt.

00:49:52: Es kommen die Fotos vom Tatort.

00:49:54: Ihr Anwalt lehnt sich zu ihr und red ihr den Saal zu verlassen, um sich die Bilder zu ersparen.

00:49:59: Sylvie erhebt sich, das Geräusch ihrer Schuhabsetzerheit im Saal nach, dann lässt sie die Tür hinter sich zufallen.

00:50:06: Die beklemmende Stille im Saal bleibt zurück.

00:50:08: Als sie wie schließlich zurück auf der Nebenklagebank Platz genommen hat, ist Michelle an der Reihe.

00:50:13: Sie könnte nun endlich die Antwort auf die Frage geben, die allen Anwesenden auf der Seele brennt, doch Michelle macht von ihrem Aussage Verweigerungsrecht Gebrauch und blickt weiter ausdruckslos ins Leere.

00:50:24: Für Antworten müssen andere sorgen.

00:50:26: Um fehlende Puzzleteile zu finden, werden Personen aus Michelles Leben aufgerufen, Nachbarin, Menschen aus der schamanischen Gruppe und ihr Ex-Mann.

00:50:36: Die Zeug in den Erzählen von einer Frau, die ihr Leben lange, aktiv gestaltet hat.

00:50:41: In ihren zwanzigern arbeitet Michelle erfolgreich als Grafikdesignerin, bewegt sich selbstbewusst und sicher in ästhetischen Welten.

00:50:48: Die junge Blondine ist kreativ, voller Energie und gern unter Menschen.

00:50:52: In den vergangenen Jahren lernt Michelle dann Markus Kenn.

00:50:56: Schnell folgt der Umzug in ein Haus, die Heirat und die Geburt ihrer geliebten Söhne.

00:51:01: Ob?

00:51:01: da gilt eine klare Rollenverteilung.

00:51:04: Markus verdient als Freiberufler das Geld, Michelle kümmert sich um die beiden Kinder und schmeißt den Haushalt.

00:51:10: Ausgleich findet sie in der schamanischen Gemeinschaft, in die Markus sie einführt.

00:51:14: Hier zwischen Lagerfeuer, Trommeln und Ritualen spürt Michelle ein Gefühl von Zugehörigkeit.

00:51:20: Im Winter sitzt sie mit den anderen in der Schwitzhütte und in langen Sommernächten kreist die Barfuß ums Feuer und hanst fröhlich auf der Wiese.

00:51:27: Besonders der freie, bewusstseinsorientierte sogenannte Fünf-Rhythmentanz hilft ihr, emotional, körperlich und mental in einen Flow zu kommen und Glück zu spüren.

00:51:37: Während der Sommercamps der Gemeinschaft bastelt sie außerdem mit den Kindern der Gruppe und malt mit ihnen unter freiem Himmel.

00:51:44: Die Gemeinschaft ist bunt, kreativ, individuell und trotzdem offen.

00:51:48: Alles passt perfekt zu Michelle und schnell ist sie dort nicht mehr wegzudenken und immer mitten drin.

00:51:53: Viel mehr noch als Markus, der sie dazu geholt hat.

00:51:57: Doch noch mehr als fünf Jahren Beziehung kommt es zum Bruch.

00:52:00: Markus trennt sich von Michelle und der feste Boden unter ihren Füßen wird porös.

00:52:04: Die dreißigjährige verlässt das gemeinsame Haus und die Kinder bleiben bei Markus.

00:52:09: Michelle sieht ihre Söhne meist nur noch an den Wochenenden, was für sie zur Belastungsprobe wird.

00:52:14: Sie, die immer mit den Kindern aufgestanden ist, die ihnen Frühstück gemacht hat und ihnen abends liebevoll den Gute Nachtkurs aufgedrückt hat.

00:52:22: Die Kinder, die ihr nicht nur eine Routine ihres Tages, sondern auch so viel Liebe gegeben haben, sind nun die meiste Zeit nicht mehr um sie und Michelle ist allein.

00:52:31: Die nächsten Jahre sind für Michelle von Unsicherheit geprägt.

00:52:34: Sie zieht mehrmals um in immer kleiner und enger werdende Wohnungen.

00:52:38: Sie versucht sich wieder als selbstständige Grafikdesignerin, doch das klappt nur phasenweise.

00:52:42: Und immer wieder schreibt sie lange verzweifelte Nachrichten an ihren Ex-Mann Markus.

00:52:47: Sie vermisst die Kinder und möchte mehr von ihnen.

00:52:50: In der schamanischen Gemeinschaft fällt sie nun auch öfter mit ihrer vehemenz auf, geht auf Konfrontationskurs und verteidigt Positionen so heftig, dass sie manche damit vor den Kopf stößt.

00:53:00: Einzelne wenden sich ab, gerade weil Michelle oft kompromisslos wirkt und es ihr Schwerfeld nach einem Streit zurückzurudern.

00:53:08: Michelle versucht zu flüchten und entflied dem miserablen Alltag nach Asien.

00:53:13: Wo genau sie hinreist, erzählt sie niemandem, ein One-Way-Ticket ohne ihrem Umfeld oder Markus ein Rückkehrdatum zu nennen.

00:53:19: Sie braucht die Zeit für sich, wer einfach mal nicht gefunden, nicht kontaktiert werden.

00:53:23: Für Wochen verschwindet Michelle vom Radar, ohne sich zu melden.

00:53:27: Dann macht ihr Corona- Twenty-Twenty ein Strich durch die Rechnung und sie muss nach Deutschland zurück.

00:53:32: Die Grenzen schließen, die große offene Welt schrumpft auf das, was vor der eigenen Tür passiert.

00:53:37: In Michelle's Fall war das schon vor der weltweiten Pandemie wenig.

00:53:41: Doch zumindest hatte sie die Möglichkeit zu reisen.

00:53:44: Die fällt jetzt aber weg und für Michelle wird die neue Begrenzung körperlich spürbar.

00:53:48: Denn sie ist dann Corona nicht mehr nur im zwischenmenschlichen Kontakt isoliert, sondern auch räumlich.

00:53:54: Die Einsamkeit wird intensiver und als Konsequenz verlagert sich Michelle's Leben ins Digitale.

00:53:59: Facebook wird zu ihrem Fenster in die Außenwelt zu einem Echo-Raum, der wenigstens ein bisschen Kontakt verspricht.

00:54:06: Doch echte Verbindungen werden seltener und eine innere Unruhe wird immer größer.

00:54:12: Im Spätsommer-Zw.

00:54:13: ist Michelle am Ende ihrer Kräfte.

00:54:16: Die Beziehung zu ihrem Ex wird immer schlechter, Aufträge bleiben aus und sie kann die Miete ihrer Wohnung nicht mehr zahlen.

00:54:22: Die Angst, ohne Dach über dem Kopf dazustehen und somit die Kinder noch weniger sehen zu können, lebt sie tagelang.

00:54:28: In dieser Situation begegnet sie zufällig Sylvie, die sie aus der schamanischen Gruppe kennt.

00:54:33: Eine Frau, die ihr immer offen und herzlich erschien und die Freundin von Eckart ist.

00:54:37: Eckart, der in der Anfangszeit immer ein offenes Ohr für Michelle hatte und den sie sehr mag.

00:54:42: Michelle fasst sich ein Herz und berichtet Sylvie von ihren Problemen.

00:54:46: Dabei wird auch ihr noch einmal bewusst, wie ernst ihre Lage mittlerweile geworden ist.

00:54:51: Als Sylvie ihr ein paar Tage nach ihrem zuverlegten Treffen vorschlägt, vorläufig bei Eckart und ihr einzuziehen, bis ihr eine neue Wohnung gefunden habt, spürt Michelle, wie ihr ein Stein vom Herzen fällt.

00:55:01: Sylvie sagt, sie müssen nur so viel Miete zahlen, wie es ihr möglich ist.

00:55:05: Erleichterung mischt sich mit Dankbarkeit.

00:55:07: Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlt sich Michelle wieder gesehen, wertgeschätzt und gewollt.

00:55:12: Im September zieht Michelle bei Sylvie und Eckart ein und damit geht ein wenig Ruhe in Michelles Leben.

00:55:18: Die Wohngemeinschaft tut ihr gut und vor allem die tiefgründigen Gespräche mit Eckhardt helfen ihr, ihre Gedanken zu sortieren.

00:55:24: Sie spürt, dieser Umzug könnte ihre Chance sein, die Chance auf einen echten Neustart.

00:55:30: Was mich sehr nicht weiß, ist, dass ihr Glück nur von kurzer Dauer ist und die Entscheidung in eine WG zu ziehen, die Stimmste ihres Lebens war.

00:55:38: Denn Michel's innere Unruhe und die Streitereien mit Markus lassen trotz der neuen geordneten Verhältnisse nicht nach.

00:55:45: Sie vermisst ihre Kinder schrecklich und bekommt immer mehr das Gefühl, dass Markus einen Keil zwischen sie und die Jungs schlagen und sie ihr ganz wegnehmen will.

00:55:52: Mit ihren Sorgen und Ängsten wendet sie sich irgendwann an den Eckhardt, ihre einzige echte Bezugsperson.

00:55:58: Sie hat das starke Bedürfnis, alles zu zerreden.

00:56:01: Denn Michel findet keine Lösung für ihre Situation und glaubt ihr Kopfplatze.

00:56:06: Die Gespräche mit Eckhardt drehen sich aber schnell im Kreis.

00:56:08: Er kann ihr nicht helfen und hat in ihren Augen keine hilfreichen Ratschläge.

00:56:13: Mit jedem weiteren Gespräch und jedem Tag, der vergeht, schwindet das Gemeinschaftsgefühl in der WG ein Stück mehr.

00:56:19: Und damit auch Michelles Vertrauen in Sylvie und Eckhardt.

00:56:22: Als der Sommer kommt, fühlt sich Michelle gar nicht mehr so willkommen wie noch am Anfang.

00:56:26: Im Gegenteil.

00:56:28: Sie hat mehr und mehr das Gefühl, dass Sylvie und Eckhardt sie nicht mehr als Mitbewohnerin haben möchten.

00:56:33: Als dann kurze Zeit später der Vater von Markus vor der WG Tür steht und ihre Söhne mitnimmt, vermutet Michelle, dass Sylvie und Eckard mit Markus sympathisieren, vielleicht sogar mit ihm Kontakt haben, ohne es ihr zu sagen.

00:56:45: Ab da zieht sich Michelle immer mehr zurück und wird misstrauisch.

00:56:49: Als sich schließlich die Blätter beginnen zu färben, ist Michelle immer mehr davon überzeugt, dass ihre Mitbewohner in ihr nichts Gutes wollen.

00:56:56: Michelle glaubt irgendetwas stimmt mit dem Leitungswasser nicht.

00:56:59: Sie fragt Sylvie, ob sie die Leitung irgendwie manipuliert hätte.

00:57:03: Doch die versichert, dass sie sich nicht daran zu schaffen gemacht habe.

00:57:06: Michelle bleibt unsicher, auch in anderen Bereichen ihres Lebens.

00:57:10: Hinter jeder E-Mail einer alten Freundin, hinter jeder Nachricht eines Bekannten, wird das sie verrat.

00:57:16: wenn sie die Menschen konfrontiert wenden, die sich ab und Michelle fühlt sich zunehmend im Stich gelassen.

00:57:21: Wenn sie nun abends allein in ihrem Zimmer sitzt, wird die Verzweiflung so groß, dass sie nicht anders kann, als ihrem Frust durch lautes Schreien und Weinenluft zu machen.

00:57:30: Manchmal an ihren Ex-Mann Markus am Telefon gerichtet, manchmal ins Leere.

00:57:34: Sie ist davon überzeugt, dass mittlerweile alle gegen sie sind.

00:57:39: Dieses Gefühl wird noch verstärkt, als sie Ende September von ihrer kurzen Auszahl in Berlin zurückkommt und von Silvia und Eckhardt empfangen wird.

00:57:46: Bei einem gemeinsamen Abendessen Anfang Oktober merkt sie, dass tatsächlich niemand so recht Freude empfindet, dass sie zurück ist.

00:57:53: Die Stimmung ist getrübt, jedes Lächeln von Silvia und Eckhardt gezogen, die Gespräche oberflächlich.

00:57:59: Als Michelle sich an diesem Abend in ihre Etage zurückzieht und bei Facebook einloggen will, klappt das nicht.

00:58:05: Immer wieder versucht sie, die Seite neu zu laden, doch das weiß-blaue Logo links oben erscheint nicht.

00:58:10: Für Michelle ist der soziale Netzwerk inzwischen eine ihrer wenigen Verbindungen nach draußen.

00:58:14: Sie wird panisch.

00:58:16: Was passiert hier?

00:58:17: Haben Sylvie und Eckhardt ihre Finger im Spiel?

00:58:20: Misstrauen und Einsamkeit breiten sich in ihr aus und nehmen Überhand.

00:58:24: Für Michelle ist niemand mehr da, niemand, dem sie vertrauen kann, nicht einmal denjenigen, mit denen sie unter einem Dach lebt.

00:58:31: Sie muss Kontakt nach draußen aufnehmen.

00:58:34: Sie fühlt sich jetzt nicht mehr sicher.

00:58:36: Daher geht sie die Treppe hinunter und fragt nach dem Telefon.

00:58:39: Sylvie und Eckhardt scheinen irritiert.

00:58:41: So als würden sie ihr das Gerät nicht geben wollen.

00:58:44: Für sich geben sie es ihr aber doch.

00:58:46: Wieder oben angekommen ruft Michelle ihren Ex-Mann an, doch dort hebt niemand ab.

00:58:50: Sie kann ihre Kinder nicht erreichen.

00:58:53: Michelles Panik schnürt ihr fast die Kede zu und plötzlich hört sie Hubschrauber am Himmel, die immer näher kommen.

00:58:59: Was wollen die?

00:59:01: Michelles Gefühl der Bedrohung wird in den nächsten Stunden immer größer, immer präsenter.

00:59:06: Die Dunkelheit der Nacht presst sich an die Fensterscheiben und jede Zelle in Michelles Körper schreit vor Angst, Wut und Verzweiflung.

00:59:12: Gegen fünf Uhr morgens kann sie es nicht mehr aushalten.

00:59:15: Sie schnappt sich ein Messer und steigt nach unten zu Silvia und Eckart ins Schlafzimmer.

00:59:20: In diesem Moment richtet sich all ihr Misstrauen und ihre Angst gegen die Menschen, die ihr bis zuletzt helfen wollten.

00:59:26: Neben dem Bett angekommen, sieht Michelle wie Eckhardt allein und Seelen ruhig schläft.

00:59:31: Dann holt sie aus und rannt ihm das Messer direkt ins Herz.

00:59:36: Michelle hat sich also bedroht gefühlt und das ausgerechnet von Sylvie und Eckhardt, wie es dazu kommen konnte, sondern ein psychiatrischer Gutachtervorgericht erklären.

00:59:45: Ein Experte, der Jahre damit verbracht hat, sich die Psyche von Straftäterinnen anzuschauen.

00:59:50: Er beginnt von seiner ersten Begegnung mit Michelle zu erzählen, vom ersten Gespräch, das er noch am Tartag des fünften Oktober bei der Kriminalpolizei geführt hat.

00:59:59: An diesem Dienstagvormittag sitzt er Michelle gegenüber, stellt Fragen und beobachtet.

01:00:04: Michelle erzählt ihm unter anderem von den Hubschraubern über dem Haus.

01:00:08: Nicht einmal, nicht zweimal, sondern wieder und wieder berichtet sie von den Helikoptern und ist im Gespräch mit dem Gutachter noch immer davon überzeugt verfolgt zu werden.

01:00:17: Sie erzählt außerdem von Frequenzen, die sie beeinflussen würden, von Kontrolle von außen.

01:00:23: Sie fühle sich ferngesteuert, als wäre sie ein Spielzeug in fremden Händen.

01:00:27: Sie glaubt außerdem vergiftet worden zu sein, wie unter Drogen gesetzt, als hätte jemand etwas in ihrer Atemluft gemischt oder ins Leitungswasser.

01:00:35: Der Gutachter erklärt dieses Verhalten vor Gericht mit einem psychotischen Zustand.

01:00:39: Michelle habe heftige Stimmungsschwankung gehabt.

01:00:42: Sie habe einen auffälligen Denkablauf aufgewiesen, der sich wandt und verzweigte, ohne Innere Logik, ohne Halt.

01:00:49: Ein normales Gespräch mit ihr sei kaum möglich gewesen, erzählt der Experte.

01:00:53: Michelle habe immer wieder den Faden verloren, sei zwischen ihren Gedanken gesprungen und habe auf Fragen geantwortet, die er ihr nicht gestellt habe.

01:01:01: Sein Fazit nach mehreren Gesprächen mit ihr, Michelle leider an einer paranoiden Schizophrenie und habe während der Tat eine Psychose erlebt.

01:01:09: Somit habe eine tiefgreifende Störung ihrer Realitätswahrnehmung vorgelegen, als sie Eckhardt tötete.

01:01:15: So, was das jetzt konkret für die Betroffenen bedeutet, hat uns Nala Salmi erklärt.

01:01:20: Sie ist Psychiaterin und Psychotherapeutin und hat jahrelang eine forensisch-psychiatische Klinik geleitet.

01:01:26: Das Ganze ist für den Betroffenen absolute Realität.

01:01:30: Das heißt, sie können jemand nicht davon überzeugen, dass das in irgendeiner Weise eine eingebildte Wahrnehmung ist, sondern es ist für den Betroffenen eine reale Wahrnehmung.

01:01:40: Das heißt, dass was Michelle in den Tagen vor und während der Tat erlebt hat, also die Vergiftung, die manipulierte Internetverbindung, die Hubschrauber und die gefährlichen Frequenzen, das war für sie absolut real.

01:01:55: Und dieser Glaube, wenn man würde vergiftet werden, ist übrigens gar nicht selten bei Menschen mit Paranoiderschizophrenie und im Zusammenhang mit Straftaten besonders wichtig, wie uns unsere Expertin erklärt hat.

01:02:07: Beim Vergiftungswahn ist es so, dass die Person subjektiv erlebt, dass sie von Menschen aus ihrem sozialen Umfeld vergiftet wird.

01:02:16: Sie erlebt auch häufig, dass das Gift im Körper zirkuliert, dass das Gift also schon irgendwie Organe zerwetzt.

01:02:24: Das ist natürlich ein extrem bedrohliches Erleben.

01:02:27: Und dann entsteht die Überzeugung, diese vermeintlichen Peiniger, diese vermeintlichen Schädiger selber töten zu müssen, unschädlich machen zu müssen, damit man selber überlebt.

01:02:38: In der Nacht auf den fünften Oktober, zw.

01:02:40: und zwanzig, hat Michelle gedacht, sie müsse Eckhardt und Sylvie töten, um nicht vergiftet zu werden, um weiterzunehmen.

01:02:48: Für sie war es also eine Art Selbstverteidigung.

01:02:51: Und in diesem Moment hätte sie auch wenig stoppen können, so sei mir.

01:02:55: Denn ein Warn sei kein Missverständnis, sondern eine geschlossene Weltsicht.

01:02:59: Auch wenn Sylvie versucht hätte, Michelle zu erklären, dass alles gut sei und sie sich alles nur einbilde, hätte es Michelle womöglich nicht aufgehalten.

01:03:08: Wieso sie Sylvia am Ende nicht auch getötet hat, sondern aus dem Auto sprang, kann niemand beantworten.

01:03:14: Auch Michelle nicht, deren Gedankengänge am Tag der Tat keinen Sinn ergaben und die heute im Gerichtssaal immer noch schweigt.

01:03:22: Der Gutachter soll als nächstes Auskunft darüber geben, was die Erkrankung bei Michelle ausgelöst haben könnte.

01:03:28: Schließlich war Michelle nicht immer psychotisch.

01:03:31: Als sie wie sie in der schamanischen Gruppe kennenlernte, war Michelle ja auch noch vollkommen anders, offen, präsent, voller Lebensenergie und mitten im sozialen Leben, anerkannt in einer Gruppe.

01:03:41: Als ein möglicher Trigger hat sich der psychiatrische Sachverständige Michelles Autoimmunerkrankung der Schildtrüse näher angesehen.

01:03:47: Na herzlichen Dank!

01:03:50: Ist aber eine andere, oder?

01:03:51: Ja, ist nicht die, die ich hab.

01:03:53: Michelle leidet nämlich unter der Basedokrankheit.

01:03:56: Das ist eine schilddrüsen Überfunktion und die kann zur starken Unruhe führen, zur Nervosität, Schlafstörungen, Herzrasen.

01:04:03: Ja, und es gibt noch weitere Symptome.

01:04:06: Doch der Experte ist zu dem Schluss gekommen, dass die Stoffwechselstörung die Psychose nicht allein erklären könne.

01:04:13: Genauso wenig wie der Fakt, dass Michel zum Tatzeitpunkt Cannabis im Blut hatte, denn die Werte seien viel zu gering gewesen, um eine Psychose auszulösen.

01:04:21: Es seien lediglich begünstigende Faktoren, so sein Fazit.

01:04:25: Kleine Bruchstücke in einem großen Puzzle.

01:04:28: Und auch Nala Salmi hat uns erklärt, dass eine Psychose in der Regel nicht wegen eines einzigen Faktors entsteht, sondern durch ein Zusammenspiel verschiedener Auslöser.

01:04:37: Auf die Frage nach Auslösern und Verlauf der Erkrankung kann man sagen, dass zunächst einmal es eine gewisse genetische Prädisposition gibt, also eine gewisse genetische Veranlagung grundsätzlich eventuell mal eine Psychose zu entwickeln.

01:04:54: Die Auslöser können dann Stress sein, Lebenskrisen, Umbrüche im Leben, aber natürlich auch Substanzkonsum, Drogenkonsum.

01:05:03: Und in einer Art Lebenskrise steckte Michelle zum Tatzeitpunkt ja definitiv.

01:05:06: Sie vermisste ihre Kinder, sie hatte ständig Streit mit ihrem Ex-Mann.

01:05:10: Dazu kam, dass ihre Arbeit nicht gut lief und sie sich keine eigene Wohnung mehr leisten konnte.

01:05:15: Es waren alles Faktoren, die wahrscheinlich jedem Menschen das Herz schwer machen und den Kopf zerbrechen.

01:05:20: Aber in Michelle's Fall entwickelte sich daraus eben eine paranoidische Zufriedenlie.

01:05:25: Und am Tattag wurde daraus eine akute Psychose.

01:05:28: Laut psychiatrischem Gutachten sei ihre Einsichtsfähigkeit dabei vollständig aufgehoben gewesen und Michelle nicht mehr in der Lage gewesen zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden.

01:05:38: Die Angeklagte sei demnach nicht schuldfähig, so das klare Fazit des Sachverständigen.

01:05:44: Nala Saimey hat uns erzählt, dass eine Psychose aber nicht immer gleich Schuldunfähigkeit bedeutet.

01:05:51: Grundsätzlich geht es bei der Schuldfähigkeitsüberprüfung immer um eine konkrete Tat zu einem konkreten Zeitpunkt.

01:05:59: Das heißt, wenn jemand eine schizophrenische Psychose hat, dann ist er nicht grundsätzlich schuldunfähig, sondern eine Schuldfähigkeit wird immer überprüft anhand einer konkreten Tatzeit mit einem konkreten Delikt.

01:06:15: Und man kann sowohl vermindert schuldfähig sein, bei einer akuten Paranoidenpsychose.

01:06:24: Aber es gibt ja auch Zustände mit beträchtlicher Persönlichkeitsveränderung bei einem chronifizierten Krankheitsverlauf.

01:06:34: Und auch dann kann das dazu führen, dass jemand aufgrund der langfristigen chronischen Wesensveränderung und seiner Urteilsminderung im eigenen Handeln vermindert schuldfähig ist.

01:06:48: Bei Michel ist sich aber nicht nur der Sachverständige in Bezug auf die Schuldunfähigkeit sicher.

01:06:53: Denn nach dem Auftritt des Gutachters wird die Beweisaufnahme vorzeitig abgeschlossen, obwohl eigentlich noch fünf weitere Verhandlungstagern gesetzt waren.

01:07:02: Eine Entscheidung, die allen Anwesenden signalisiert, dass die Kammer sich dem Gutachten des Psychiatres anschließen wird.

01:07:08: Und so ist auch niemand überrascht, als der Vorsitzende Richter bereits am zwanzigsten Oktober, dass das Gericht keine Strafe verhängt und für Michelle die Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie auf unbestimmte Zeit anordnet.

01:07:23: Der Grund, Michel hat zwar einen Menschen getötet, war aber zum Tatzeitpunkt schuldunfähig.

01:07:29: In seiner Urteilsbegründung erklärt der Vorsitzende die Notwendigkeit der unbefristeten Unterbringung damit, dass Michel auch in Zukunft eine Gefahr für andere bleibe.

01:07:37: Zu groß sei das Risiko, dass sie getrieben von ihrer Krankheit erneut eine schwerwiegende Straftat begeht.

01:07:44: Und es hat auch damit zu tun, dass Michel auch jetzt immer noch bis zum Prozess keine Medikamente nehmen will.

01:07:53: Wie Michelle auf die Entscheidung des Gerichts reagiert hat, hat uns sie wie im Interview erzählt.

01:07:58: Als der Richter des Urteils verkündet hat, habe ich sie angeschaut und habe wahrgenommen, dass sie eigentlich völlig starre oder

01:08:07: stumm.

01:08:09: Sie hat unbeteiligt

01:08:10: gewirkt,

01:08:12: aber es kam auch keine Antwort von ihr.

01:08:15: Nur kurz nehmen sie dieses Urteil an und ja, aber sonst kam da gar nichts.

01:08:20: Und ich war auch froh darum.

01:08:22: Also im gesetzten Fall da wäre irgendwie eine Entschuldigung gekommen oder so, was ich jetzt gar nicht damit umgehen könnte.

01:08:28: Wie die anderen im Saal trifft Sylvie, das Urteil nicht unvorbereitet.

01:08:31: Trotzdem ist das alles für sie noch schwer greifbar.

01:08:35: Sylvie hatte im Sommer, dass es Michelle schlecht geht, aber dass sie es so schlecht ging, hätte sie niemals gedacht.

01:08:43: Dann hätte sie Hilfe geholt, die Polizei oder den sozial-psychiatischen Notdienst verständlich.

01:08:48: Wenn sie geahnt hätte, was wirklich im Kopf ihrer Mitbewohnerin vor sich ging, dann hätte sie doch gehandelt, geholfen.

01:08:56: Als ihr mir jetzt mit ansieht, wie Michelle mit leeren Blick und hängenden Schultern den Gerichtser verlässt, überkommt sie wie tiefes Mitgefühl mit der erkrankten Frau.

01:09:05: Sie weiß, Michelle hat nicht aus Bösewildigkeit gehandelt, sondern aus einer Art Warn heraus, weil sie sich selbst bedroht fühlte.

01:09:13: Was trotzdem bleibt, ist der Verlust ihrer großen Liebe.

01:09:17: Nichts wird Eckhardt je zurückbringen, zu rational und gerecht die Entscheidung des Gerichts auch sein mag.

01:09:25: Seit dem Urteil sind drei Jahre vergangen und die Trauer um Eckhardt ist nie wirklich verschwunden.

01:09:30: Sie kommt noch immer, manchmal hoch, in ruhigen Momenten, beim Hören eines bestimmten Lieds oder beim Riechen eines bestimmten Geruchs, den Sylvie mit ihm in Verbindung bringt.

01:09:39: Die Wunden hat uns die mittlerweile achtundfünfzigjährige gesagt, werden nie ganz verheilen.

01:09:44: Und es wird sie immer geben, die Tage, an denen sie die Vergangenheit einholt.

01:09:49: Aber es gibt auch andere Momente, die leichten und lauten und schön.

01:09:53: Viele davon hat sie Ecker zu verdanken.

01:09:56: Denn heute geht Sylvie ihr eigenes Tempo und traut sich Dinge zu, die sie früher nie gewagt hätte.

01:10:02: Sie hat von Eckhardt gelernt, wie man sich selbst an erste Stelle setzt, ohne dabei egoistisch zu sein und wie man sich traut, wirklich zu leben und trotzdem den Blick für andere behält.

01:10:11: Eckhardt hat ihr gezeigt, dass es nicht darum geht, Rollen auszufüllen, sondern selbst zu entscheiden, wohin man will.

01:10:18: Ohne ihn hätte Sylvie wohl nie den Mut gefunden, sich mit Anfang Fünfzig ein neues Leben aufzubauen.

01:10:23: Hätte sie ihn und seine Lebensphilosophie nie kennengelernt, hätte sie sich sicherlich vor Kurzem auch kein Motorrad gekauft, eine Rote zu suckigen.

01:10:32: Wenn Sylvie jetzt auf ihr über die Landstraßen fährt, aus der Kurve heraus beschleunigt und den Fahrtwind auf ihrem Gesicht spürt, dann durchströmt sie endlich wieder ein tiefes Gefühl von Freiheit und Dankbarkeit.

01:10:42: Die Dankbarkeit, dass Eckhardt in ihr Leben getreten ist, werden auch viel zu kurz.

01:10:48: Also ich stell mir das so schwierig vor, für Sylvie im Nachhinein mit diesen Gedanken umzugehen, also mit diesem, dieses, was wäre wenn, ne?

01:10:58: Dieses, was wäre wenn ich der Michelle

01:11:01: nicht

01:11:02: begegnet wäre da, als ich aus der Apotheke kam oder so, ne?

01:11:05: Diese kleinen Entscheidungen, die dann

01:11:08: in ihrem Kopf...

01:11:09: dazu geführt haben, was ja gar nicht stimmt.

01:11:12: Man weiß ja nie, was passiert wäre und es ist nie die Schuld der Beteiligten oder der Opfer oder sowas.

01:11:19: Und in diesem Fall muss man ja sogar sagen, es ist nicht mal die Schuld von Michelle,

01:11:24: die

01:11:25: krank war und sich deswegen so verhalten hat.

01:11:28: Und ich frag mich, ob es für mich eigentlich schlimmer wäre oder es einfacher machen würde, mit der Tat umzugehen.

01:11:36: wenn ich wissen würde, dass es eben keine böse Absicht dahinter gab.

01:11:39: Ich glaube eigentlich, dass ich damit besser umgehen könnte.

01:11:43: Ich finde das schwierig zu sagen, weil man steckt mich drin und das, weil so jeder ist ja auch unterschiedlich mit dem Umgang deswegen.

01:11:52: Und wir haben ja auch aus anderen Geschichten bereits erfahren, dass es für sozusagen das Abschließen oder das Umgehen teilweise auch gut ist, wenn man sozusagen in Anführungsstrichen den Bösen auf der anderen Seite hat, den man sozusagen die Schuld geben kann.

01:12:08: Ich finde es einfach so grausam, weil Eckhardt für Sylvia, für so viel Stand, also für diesen Neuanfang dafür, dass sie wieder zu sich gefunden hat, so viel Freude in ihrem Leben hatte.

01:12:21: Und natürlich ist... dieses ganze neue Leben auch irgendwie mit dem verbunden.

01:12:28: Und wie schön, dass sie sich das beibehalten hat, ja.

01:12:31: Aber, dass man überhaupt noch Freude an den ganzen neuen Sachen haben kann, wenn der Partner umgebracht wurde.

01:12:38: Ja.

01:12:38: Weil das ist ja unter anderem der wichtigste Mensch in deinem Leben, ja.

01:12:42: Ja.

01:12:43: Ja, großen Dank an Sylvie, dass sie sich uns anvertraut hat und uns über ihren Verlust gesprochen hat.

01:12:50: Ja.

01:12:51: Und das war jetzt die letzte... gemeinsame Folge für das Jahr twenty-fünfundzwanzig.

01:12:57: Genau.

01:12:58: Nächstes Jahr geht es natürlich weiter mit uns zusammen auch.

01:13:00: Da sagen wir am Anfang des Jahres noch mal was genaueres dazu.

01:13:03: Ja.

01:13:04: Ihr hört noch eine Folge mit mir allein nächste Woche und da spreche ich über sogenannte Staatsverräterinnen in Deutschland.

01:13:13: Bis dahin.

01:13:14: Tschüss.

01:13:26: Redaktion Simon Garshammer und wir.

01:13:29: Schnitt Paulina Korb.

01:13:31: Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.

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